Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
Kommandeur Lathraea zu wechseln.
Man schickte Jeryd zu einer anderen Schlange als die Übrigen. Offenbar wurde er für die Arbeit in der Inquisition mit einem eigenen Kommando belohnt. Schnell stellte er fest, dass er zu einer Gruppe Rumel gesteckt worden war, die ihm zunickten, als er sie grüßte. Sie waren ungefähr zu fünfzig und rückten langsam an einem Ausrüstungsposten vor. Als er endlich drankam, stand er vor einem Offizier der Nachtgarde, der in einer großen Waffenkammer Befehle bellte.
Jeryd zeigte ihm seine Plakette. Dass er Rumel war, trug ihm diesmal keine abfällige Behandlung ein.
Ermittler Jeryd war nun Leutnant Jeryd und Zugführer der Ersten Rumel-Freischärler. Drei seiner Mitkämpfer kannte er aus der Inquisition, und zudem unterstanden ihm gut dreißig weitere Männer und Frauen. Alle waren mit einfacher Armbrust und von den Kultisten entwickelter Munition ausgerüstet, und er erfuhr, dass sie – der zähledernen Haut wegen – ohne Deckung als Heckenschützen und Guerillakämpfer eingesetzt werden oder in der Dunkelheit Barrikaden halten sollten. Sie erhielten seltsame Uniformen und weiße Schärpen mit dem siebenzackigen Stern des Kaiserreichs Jamur. Dann wurde Jeryd darüber unterrichtet, was man von ihm erwartete.
Wie schnell er rekrutiert und instruiert worden war! Als plötzlich Kommandeur Lathraea auftauchte, wich die Menge zurück, als fürchtete sie seine fahlhäutige, geisterhaft anmutende Erscheinung.
»Ermittler, auf ein Wort.«
»Ermittler? Ihr sprecht mit einem Leutnant«, scherzte Jeryd. »Was kann ich für Euch tun?«
Mit stämmigen Pferden ritten sie zur Inquisition zurück und waren froh, dass das Schneetreiben kurz aufgehört hatte.
Jeryd fragte, warum die Soldaten den Rumeln das Leben so schwer machten, doch der Kommandeur bemerkte nur kühl, zu den Feinden gehörten nun mal viele Rumel; die seien zwar von anderem Naturell, doch er müsse sichergehen, dass sich kein Fremder durch die kaiserlichen Linien geschlichen habe und seine Truppen infiltriere.
Kaum hatten sie die Behörde erreicht, führte Jeryd den Kommandeur zum Erzinquisitor von Villiren, einem alten, grauhäutigen Rumel, der kaum mehr stehen konnte. In einem getäfelten, staubigen Zimmer, in dem überall Gesetzbücher lagen, halfen zwei Assistenten dem Greis auf seinen Stuhl und ließen die drei allein. Die Besucher setzten sich dem Schreibtisch gegenüber.
Brynd verlor keine Zeit: »Sir, wie Ihr womöglich wisst, unterliegt ein Großteil der Stadt nun dem Kriegsrecht.«
Der Erzinquisitor stieß einen leisen Pfiff aus und nickte. »Ihr wollt klare Verhältnisse schaffen, um die Dinge zu vereinfachen. Das verstehe ich gut.«
Brynd lächelte, und das tat er selten. »Allerdings. Soweit ich weiß, habt Ihr zwei Gefangene, die ihrem Prozess und ihrer Hinrichtung entgegensehen – die Sache Voland.«
»Ermittler Jeryd war in dieser Angelegenheit ungemein fleißig und hat unserer Behörde Ehre gemacht.«
Komplimente gefielen Jeryd gar nicht, doch er lächelte dennoch scheu.
»Das bezweifle ich nicht, Sir«, fuhr Brynd fort. »Doch ich komme mit einem seltsamen Ersuchen, das Euch vermutlich nicht gefällt.«
»Nur weiter … «
»Ich habe Grund zu der Annahme, dass diese Gefangenen recht einzigartig sind. Und angesichts der gegenwärtigen militärischen Lage könnte ich sie womöglich brauchen.«
»Brauchen?«, stieß Jeryd ungläubig hervor. »Die sind doch zu nichts nütze!«
»Ganz im Gegenteil«, erklärte Brynd. »Ich wünsche, dass sie sofort auf freien Fuß gesetzt werden.«
Jeryd hätte fast seinen Tee über den Tisch gespuckt. »Seid Ihr verrückt? Warum wollt Ihr diesen Serienmörder und dieses … Ungeheuer freilassen?«
KAPITEL 45
I n Spinnengestalt huschte Nanzi tief in der Nacht durch die Trümmer der Stadt.
Vom sternenklaren Himmel sank beklemmende Kälte herab. Der Sonnenuntergang hatte zur Unterbrechung der Schlacht geführt; Strategien gingen im Dunkeln eilig von Mund zu Mund oder wurden von Boten auf preschenden Pferden übermittelt. Alle hielten das Schwert griffbereit. Die Bogenschützen blieben auf ihrem Posten, und auch die Rumel-Scharfschützen harrten in der Kälte aus. Männer und Frauen von Dragonern und Infanterie standen an eilig errichteten Barrieren Wache.
Und doch hätte niemand Nanzi aufhalten können.
Sie musste tun, wie ihr geheißen – sonst würde Voland sterben, und das durfte sie nicht zulassen. Wie nur konnten diese Leute nicht wertschätzen, was sie
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