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Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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müsse die Leute vor Vergewaltigung und Diebstahl bewahren, und es sei unfair, alle guten Kämpfer an der Oberfläche zu lassen. Es gelte, Männer, Frauen und Kinder zu schützen. Zudem hätten die großen Banden sich jeder Mithilfe bei der Verteidigung der Stadt glatt verweigert.
    Er gab Marysa seine zusätzliche Inquisitionsplakette, die ihr womöglich eher von Nutzen war als ihm. Seufzend sah sie ihn mit ihren großen schwarzen Augen an. Wie viel in diesem Blick lag! Wie viele frühere Unterhaltungen er heraufrief! Er küsste sie innig und roch ihr Haar. Seltsam, dass er dies am meisten vermissen würde, die Einzelheiten, derer er sich im täglichen Leben kaum bewusst war. Er hatte weniger Angst vor dem Tod als davor, ohne Marysa zu sein.
    Es war ein schmerzlicher Abschied.
    Noch immer in der schwachen Hoffnung, einander sehr bald wiederzusehen, verabredeten sie, wo und wann sie nach dem Krieg täglich aufeinander warten wollten: vor einem ihrer Lieblingsbistros hinter den Onyxflügeln und den Torbögen aus Walfischbein. Falls die Stadt aber in Feindeshand fiele, träfen sie sich in einem Dorf weiter draußen, das er ihr auf einem Lageplan skizzierte.
    Marysa ging als Erste und ließ eine überwältigende Leere zurück. Alles stockte.
    Jeryd setzte den Hut auf und lief durch die Straßen. Überall schoben sich warm angezogene Leute mit schwermütiger Miene durch die Gassen. Vom Jammern derer abgesehen, die bereits Angehörige verloren hatten, war die geschäftige Stadt unheimlich still. Er konnte die Anspannung beinahe atmen. Erneut gab es eine Explosion, und das gewaltige Tohuwabohu der Schlacht schien näher als zuvor.
    Er hatte Villiren nicht zu beschützen – warum war er also überhaupt hier? Er tat es für das Gemeinwohl, und diese Verpflichtung entsprang seinem Gewissen. Es war das gleiche moralische Empfinden, das ihn so viele Jahrzehnte bei der Inquisition hatte bleiben lassen. Persönliche Vorteile zählten nicht. Würde jeder nur aus Privatinteresse handeln, gäbe es keine Bürgerwehr, keine Seenotrettungsboote, keine Suppenküchen. Jeryd musste über sich lachen. Ermittler Rumex Jeryd: inzwischen aufstrebender Philosoph.
    In der Nähe des Allmende-Viertels bemerkte Jeryd, dass er im Treibgut neuer Rekruten für die Bürgerwehr steckte, inmitten von Männern, Frauen und Kindern, die des Schneetreibens wegen zu Boden sahen und teils entschlossene, teils traurig teilnahmslose Mienen hatten. Der Strom bewegte sich auf die älteren Bauten rund um die Zitadelle zu, und es schlossen sich immer mehr Leute an. Die Straßen in dieser Gegend führten nicht länger geradeaus, sondern wanden sich dahin. Einige waren aufgrund von Trümmern unpassierbar, doch die Soldaten fuhren den Schutt ab, um daraus Barrikaden zu bauen. Berittene Dragoner warteten in dicht gestaffelten Reihen auf ihren Einsatz und rückten – eiskalte Profis – ungerührt im Sattel hin und her.
    Dutzende Uniformierte standen mit Klemmbrettern da, notierten geduldig Namen und schickten die Registrierten in die Altstadt. Folgsam trotteten die Bürger an die Orte, an die sie gesandt wurden. Es gab auch recht viele Rumel. Jeryd wurde gebeten, sich wie die anderen in eine Schlange zu stellen, die so stumm wartete, als ginge es zur Hinrichtung.
    Der junge Soldat betrachtete ihn mit Bedacht, brachte seine Personalien zu Papier und sagte kaum etwas.
    »Stimmt was nicht mit uns Rumeln, Sergeant?«, fragte Jeryd. »Mir ist aufgefallen, dass man uns in dieser Stadt ungehobelt begegnet.«
    Der junge Soldat musterte ihn kühl, und in seinem Blick geisterte vieles. »Anscheinend kämpfen eine Menge Rumel im Heer des Feindes. Deshalb müssen wir vorsichtig sein und Sicherheitsprüfungen und dergleichen vornehmen. Ich fürchte, ich muss ein paar Fragen zu Eurer Vorgeschichte stellen –«
    Wütend zog Jeryd seine Plakette hervor. »Die dürfte Euch davon überzeugen, dass ich auf Eurer Seite kämpfe – und zwar seit hundertachtzig Jahren!« Ihm entging nicht, dass sich eine erwartungsvolle Menge um sie bildete.
    »Schon gut!« Der Mann machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Wir müssen uns eben an die Regeln halten.«
    Wenn die Dinge jetzt schon so schlimm standen, wie viel übler würden sie im Zuge der Invasion werden? Rumel waren in Villiren eine Minderheit, und ihm lag nicht viel an einem schlechten Ruf. Als seine Empörung nachließ, begriff er, dass der junge Soldat nur Befehle ausführte. Vielleicht war es angezeigt, ein ruhiges Wort mit

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