Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
erledigen, vor allem nicht angesichts der vielen Todesfälle. Doch die Arbeitgeber sagen: ›Schnauze, oder wir holen billigere Arbeiter von anderswo. ‹ Gerüchten zufolge sollen sogar Sklaven zur Arbeit gezwungen werden, beinahe zum Nulltarif. Lutto hat mir erzählt, dass ihm diese Idee gar nicht behagt, weil das seinem Ruf in Villjamur schaden könnte. Nicht mal die Inquisition darf mit der Sache befasst werden, weil das ein schlechtes Signal wäre und darauf hindeuten könnte, dass es mit der Demokratie hier nicht gut bestellt ist. Schließlich gilt es, die Illusion der Freiheit zu schaffen, um die Massen zu besänftigen.«
»Und was erwartet Lutto von uns? Dass wir eine Ladung unschuldiger Protestler umbringen?«
»Gewissermaßen – aber von innen. Geschäftsleute haben die Politiker gebeten, ihnen in diesen harten Zeiten, wo sie solche Unruhe nicht brauchen können, zu helfen. Erst vor wenigen Wochen haben sie hundert Leute rausgeworfen, die Streiks organisiert hatten – das war selbst nach unseren zahnlosen Arbeitsgesetzen illegal – , doch bald dürften die Dinge außer Kontrolle geraten. Das aber will auch der Bürgermeister nicht. Er hat den Geschäftsleuten günstige Zolltarife, Subventionen, Steuererleichterungen angeboten, damit sie hier in Villiren bleiben – das gehört bestimmt zu dem Gerede vom freien Markt! Diese Unruhen stören jedoch seine großartigen Entwicklungspläne. Also wendet Lutto sich mal wieder an uns, damit wir ihm helfen, und behandelt uns wie Geschäftsleute, weil wir tun, was wir gut können. Hier gibt’s eine Stange Geld zu verdienen – wie beim Narbenhaus-Massaker vor zwei Jahren.«
Dannan sah ihn mit großen Augen an.
»Genau«, sagte Malum. »Danach haben wir lange keinen solchen Auftrag mehr erledigen müssen. Und nun sollen wir uns unter die Streikenden mischen, innerhalb der Bewegung ein Blutbad anrichten und behaupten, Gewerkschaften seien nur brutale Schlägerbanden, die keinem nutzen. So werden die Unternehmer nicht bloß die Rädelsführer los, die es der Privatindustrie erschweren, sich die Taschen zu füllen, die Leute werden auch nichts mehr mit den Gewerkschaften zu tun haben wollen. Entsolidarisierung, verstehst du? Die Menschen machen bloß noch ihre Arbeit. Das alles gehört zu Luttos Langzeitstrategie, ist Teil seiner Kampagne für freie Demokratie.«
»Was? Die Leute von jedweder Kontrolle über ihr Leben und ihre Arbeitsbedingungen abzuhalten , gilt inzwischen als freie Demokratie? Wer hat denn die Begriffsbestimmungen so verdreht?«
»Willkommen in Villiren, Dannan! Immerhin dürfen die Leute wählen, stimmt’s?«
»Zwischen zwei, drei Männern, die nicht voneinander zu unterscheiden sind. Und so oder so: Lutto ist immer der Gewinner, weil er das meiste Geld hat – und obendrein unsere Unterstützung.«
»Ja, der ganze Mist ist mir klar.«
»Dir scheint vieles klar zu sein«, erwiderte Dannan aufrichtig beeindruckt.
»Dass ich ein Gauner bin, bedeutet schließlich nicht, dass ich keine Bücher lese. Aber wie dem auch sei – wir stecken jetzt in dieser Sache drin. Kann ich ihm also auch einige deiner Leute für diese Aufgabe zusagen?«
Dannan seufzte tief und dachte über seine Antwort nach. »Wie viele steuerst du denn bei?«
»Ungefähr hundert, aber es dürften fast tausend Leute protestieren.«
»Dann stelle ich auch hundert – das reicht doch wohl?«
»Wahrscheinlich. Ich geb dir Nachricht, wann und wo es losgeht. Wir haben schon einige Leute bei den Gewerkschaften eingeschmuggelt.«
Dannan nickte, nahm einen tiefen Zug von seinem Glimmstängel und sah sich weiter nervös um.
Malum ging davon und verschwand in der Stadtlandschaft.
KAPITEL 8
M ist!« Beami stützte den Kopf in die Hände und betrachtete durch ihre dunklen Strähnen hindurch das Durcheinander auf ihrem Schreibtisch. Einkreuzung – ihr Fachgebiet – war die gefährliche Kunst, Relikte miteinander zu kombinieren, und hätte sie sich bemüht, diese besondere Mischung zu aktivieren, hätte sie sich vielleicht in die Luft gejagt. Das lag daran, dass zwei Kupferabschnitte eines geladenen Fororum -Relikts nicht in die errechnete Struktur passten. Sie schob die hundert Metallteile auf dem Tisch zusammen und in eine Schachtel, lehnte sich im Ledersessel zurück und stöhnte bedrückt. Die Nantuk Baugesellschaft würde noch ein paar Monate auf ihr Abrissgerät warten müssen, das – wie sie hoffte – Stein so rasch altern ließ, dass er sofort zu Staub wurde. In einem
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