Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
erwiderte Malum knapp. »Sagt uns einfach, warum wir hier sind.«
»Ah, direkt zur Sache«, verkündete Lutto. »Ein Mann nach meinem Herzen!«
»Verschont mich mit Eurem Herzen«, knurrte Malum. »Oder treibt Ihr’s inzwischen mit Männern?«
Malum bemerkte, dass sich die Miene des Albinos kurz verdüsterte. Seltsam, dachte er. Dem Kommandeur hatte diese Bemerkung offenkundig nicht gefallen. Er sah merkwürdig aus mit seinen teuflischen Augen und dem kantigen Gesicht, doch seine Miene hatte sich zweifellos angespannt. Sehr eigenartig …
Der Albino eröffnete das Treffen eilig. »Meine Herren, ich habe Euch hergerufen, weil … nun, um es ganz einfach zu sagen: Wir brauchen Eure Hilfe. Lutto hat mich zuverlässig darüber unterrichtet, dass Ihr beide über viele Bürger gebietet – über mehrere Tausend, nehme ich an.«
Dannan brach sein Schweigen. »Ja und?« Seine Stimme klang ein wenig weiblich.
»Vielleicht darf ich kurz zusammenfassen, was unsere Kundschafter herausgefunden haben?« Der Kommandeur blickte misstrauisch zwischen seinen Besuchern hin und her. Offenbar bedauerte er es, diesen beiden Gaunern gegenüber so höflich sein zu müssen.
Was Brynd dann beschrieb, war so instruktiv wie beunruhigend. Er bestätigte die Gerüchte, die sie über das Ausmaß des Massakers auf Tineag’l gehört hatten, wo ganze Städte und Dörfer von der Landkarte verschwunden waren und wohin gegenwärtig Geschöpfe namens Okun von Norden her übers Packeis marschierten. Der Kommandeur gab den Bandenführern ganz offensichtlich etwas zum Nachdenken.
Als schließlich Getränke gereicht wurden, bekam die Stimme des Albinos etwas Entspannteres. Doch noch immer hing Erwartung in der Luft.
»Nun, ich erwarte nicht, dass Ihr uns aus Herzensgüte helfen wollt«, fuhr Brynd Lathraea fort. »Ihr seid hart im Nehmen und vor allem an Eurem eigenen Vorteil interessiert – das ist mir klar.«
»Auch wir haben Anstand, Kommandeur«, gab Malum barsch zurück. »Unsere Welt ist nicht schwarz-weiß.«
»Dann werdet Ihr uns helfen?«
»Das hab ich nicht gesagt.«
Flüsternd lehnte sich der Kommandeur zu Lutto hinüber, der mit schwabbelnden Wangen nickte. »Lutto hat sich einverstanden erklärt, einige Tresore der Stadt zu öffnen, um Euch mit Geld zu entlohnen, das Villjamur eines Tages unseren Bürgern wird zurückzahlen müssen. Uns geht es darum, bei Bedarf Eure Dienste in Anspruch nehmen zu können. Ich weiß allerdings nicht, wann es so weit sein wird, da wir gegenwärtig einfach … warten.«
Also war nichts beschlossen, kein Ergebnis erreicht. Dannan und Malum erklärten sich einverstanden, den Vorschlag grundsätzlich zu erwägen. Wollten sie sich vom Kaiserreich beschäftigen lassen? Würden sie einfach eine weitere Einheit außer der Reihe angeworbener Soldaten werden?
Das einzig greifbare Ergebnis für Malum war, dass er einem seiner Männer befahl, den Kommandeur aus der Ferne zu beschatten. Ob es allein an dessen so extrem weißer Haut lag? Jedenfalls umgab diesen Brynd Lathraea etwas wirklich Seltsames.
Unter einem graupeligen Himmel unterhielten Malum und Dannan sich in einem abgesperrten Sanierungsgebiet.
Dannan zog nervös, ja, paranoid an seinem Glimmstängel, obwohl stets zwei seiner Schläger in der Nähe waren, deren Stiefel auf dem menschenleeren Bruchsteinpflaster knirschten. Hier hatte sich einst eine Bildungseinrichtung befunden, doch dann waren die Mieten zu teuer geworden, und nun war die Umwandlung des Gebäudes in einen aufgestockten Wohnblock vorgesehen. Gegenwärtig war dies ein guter Treffpunkt: Nirgendwo konnte man sich mit einer Armbrust verstecken, und es gab nicht mal Deckung genug, um sich mit dem Schwert auf die Lauer zu legen.
»Was gibt’s, Malum?«, fragte Dannan beinahe melodiös.
»Laut Bürgermeister wird ein mächtiger Streikzug durch die nördlichen Bezirke ziehen – Proteste von Schauerleuten im Hafen, Unterstützung von kleinen Kaufleuten, so was.«
»Worüber sind sie denn so sauer?«
»Vor allem über die gefährlichen Arbeitsbedingungen.«
»Warum fechten sie das nicht mit ihren Arbeitgebern aus? Was hat Lutto damit zu tun? Schließlich herrscht freie Marktwirtschaft, oder?«
Malum grinste. »Komm, Dannan, das weißt du doch wohl besser? In den Privatfirmen hier übernimmt keiner die Verantwortung für tödliche Arbeitsunfälle – gegenwärtig sterben die meisten Opfer an Unterkühlung. Niemand möchte in dieser Kälte eine lausige Arbeit für lausiges Geld
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