Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
gewohnten Glanz des Kaiserpalasts, doch Randur hielt sich vor Augen, dass es besser war, in dieser Absteige zu übernachten, als im Freien zu kampieren.
Als er aus dem Fenster in einen mit Fässern bestandenen Hinterhof sah, meinte Rika: »Sie hat dich Kapp genannt?«
»Wie bitte?«
»Kapp – ich dachte, du heißt Randur Estevu. Wie ist das denn nun?«
»Ich heiße nicht wirklich Randur.« Er blickte zu Eir, die die Geschichte bereits kannte. Sie nickte mit schmalem Lächeln und forderte ihn so zum Weiterreden auf.
»Was deine Vergangenheit angeht, hast du dich bisher reichlich bedeckt gehalten«, sagte Rika. »Aus gutem Grund, wie es scheint.«
Er hatte sehr darauf geachtet, nicht wie ein einfacher Inseljunge zu wirken, der neu in der Großstadt war. Rika hätte nicht davon erfahren sollen, denn das machte die Dinge nur schwieriger, doch nun war es für Randur Zeit, sich von seinen Lügen zu befreien.
»Ich kam mit den gestohlenen Papieren eines Toten nach Villjamur. Der echte Randur war ein junger Mann in meinem Alter. Als er ermordet im Hafen gefunden wurde, konnte mein windiger Onkel aus Y’iren sich die Papiere verschaffen, die diesem Randur die Einreise nach Villjamur gestatteten. Kapp war mein eigentlicher Name, doch ich nahm die Identität des Toten an und wurde Randur. Ich hatte Pläne umzusetzen und wollte mit den großen Kultisten der Stadt sprechen, um das Leben meiner Mutter zu retten. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich jetzt nicht wiederholen will. War diese Täuschung nun so schlimm?«
Dass er mit zig reichen Frauen geschlafen und dann ihren Schmuck gestohlen hatte, um diese großen Kultisten zu bezahlen, blieb vorderhand wohl besser ungesagt.
»Ja, eigentlich heiß ich Kapp«, erklärte er resigniert. »Aber ob Randur oder Kapp: Ich hab Euch das Leben gerettet.«
Rika sah aus dem Fenster. Wieder hatte es aus dem grauen Nachmittagshimmel zu schneien begonnen. »Stimmt, und deine Absichten waren lauter – auch wenn ich deine Taten nicht ganz billige. Kapp, ja? Dieser Name ist besser, finde ich. Randur klingt ein bisschen anrüchig .«
»Das war’s schon? Keine Gardinenpredigt über Moral?«, staunte Randur. »Keine Vorhaltungen, was für ein Narr ich war und dass mein armes Hinterteil tausend Jahre in einem Sühnefeuer schmoren wird?«
Da lachte Rika zum ersten Mal, und er fragte sich, ob er etwas ausgesprochen Dummes gesagt hatte. »Ja, das war’s, Kapp. Meine Religion ist bisweilen gar nicht so schwierig. Deine Beweggründe waren edel. Wonach sonst können wir einen Menschen beurteilen?«
»Ich dachte, Ihr hättet zigtausend Regeln, was alles nicht erlaubt ist.«
»Es gibt zwar ein paar Verbote, doch die sollen bei unseren geistigen Übungen helfen und nicht dazu dienen, andere abzuurteilen. Es gibt freilich Priester, die gewisse Gesichtspunkte unseres Glaubens in einer Weise interpretiert haben, die ich für negativ halte. Tatsächlich aber sind wir alle – jeder von uns – die Summe unserer Handlungen. Mache ich wirklich einen so … aburteilenden Eindruck?«
»Ihr wirkt einfach ein wenig … na ja, moralisierend«, brummte Randur. »Nichts für ungut, Lady.«
»Ich schätze, ich habe recht viel durchgemacht – erst die Rückkehr nach Villjamur, dann … die unvermutete Abreise. Wir alle haben ziemliche Torturen hinter uns.«
»Was soll’s«, meinte Randur und vergaß einmal mehr, wie hochgestellt die Frau vor ihm war. Natürlich hatte Rika es nicht leicht gehabt: Sie war aus ihrer geistigen Klausur gezerrt und auf den Thron gestoßen worden, um über Millionen Menschen im Kaiserreich Jamur zu regieren, und dann hatten nahe Berater sie manipuliert und zu Unrecht beschuldigt, sie habe Tausende ihrer Untertanen umbringen wollen.
»Wir können entweder Trübsal blasen oder guten Mutes sein«, fuhr er fort. »Ich gehe jetzt runter, um was zu essen. Wer kommt mit?«
Beide Mädchen erhoben sich sofort.
Da sie es mit der Tarnung ernst nahmen, fläzten Rika und Eir sich, so gut es ihnen als Mädchen aus dem Kaiserhaus gelang, im hinteren Teil der düsteren Taverne. Randur hatte den Degen griffbereit. Einzig die Geräusche des Kartenspiels waren zu hören, das Abstellen von Gläsern, eine tickende Uhr. Erst gegen Abend füllte sich – wie üblich – das Lokal mit armen Leuten, die ihren Tageslohn für Geselligkeit ausgaben, ohne dass ihnen das viel Nutzen brachte.
Ab und an traten junge Frauen ein – ganz unterschiedlich gekleidet, mal mehr, mal weniger attraktiv
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