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Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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Von morgens bis abends hätten hoch beladene Karren unterwegs sein, Genossenschaften Handel treiben und Menschen von Ort zu Ort reisen sollen – aber nichts von alledem.
    Ab und an lösten Tannen- oder Birkenwälder die offene Tundra ab und boten etwas Schutz vor den Elementen, doch die Bauern von früher schienen kaum mehr vor Ort zu leben, sondern entweder erfroren oder in gemäßigtere Regionen gezogen zu sein.
    Und auch Randur hatte sich seit seinem Fortgang nach Villjamur verändert. Er hatte gelernt, den Damen am Hof auf angenehm beiläufige Art Komplimente zu machen, hatte sich an die weichen Laken, die dezente Beleuchtung und die vergoldeten Möbel in der Residenz gewöhnt. Ebenso an Wärme, gutes Essen und eine dekadente Umgebung. All das hätte ihn beinahe verdorben und zu der Art Mensch werden lassen, die er verachtete. Und wenn er ehrlich war, fiel es ihm tatsächlich schwer, nun mit dem rauen Leben auf der Straße klarzukommen, sein eigenes Essen auftun zu müssen und plötzlich darauf zu achten, dass keine Feuchtigkeit in die Stiefel geriet.
    Eir dagegen war durch den Verlust ihrer früheren Stellung geradezu aufgeblüht. Die Einschränkungen Villjamurs hatten ihr anscheinend nie erlaubt, sich frei zu fühlen. Inzwischen kleidete sie sich eher wie ein Junge, und das hatte etwas Ironisches, da Randur von anderen gewöhnlich zu hören bekam, er ziehe sich an wie ein Mädchen. Zäher und belastbarer war sie geworden. Die Lebenswirklichkeit hier draußen hatte die Requisiten ihres früheren Reichtums rasch dahingehen lassen. Sie hatte zu kämpfen gelernt und trug dies selbstbewusst zur Schau.
    Die reisebedingte Keuschheit war nichts für Randur. Rika hatte ihm die Stimmung bereits mehrfach verdorben, als er schon dachte, sich einen raren Moment der Zweisamkeit mit Eir verschafft zu haben. Immer wieder setzte die Kaiserin sich ab, um sich einsamen Betrachtungen zu widmen, und trotzte dem Wetter dabei wie eine Bärin – auch durch Meditation lasse die Kälte sich vertreiben, erklärte sie gern. Dann legte Randur sich in einen Unterschlupf, nahm Eir in die Arme, tastete unter ihre Kleidung, fühlte ihre Wärme und … schon kehrte Rika von ihrem Selbstgespräch mit dem Himmel zurück, und seine Arme schnellten von Eir weg.
    Ein Mann kann nicht alles ertragen .
    Das Gebiet von Folke bestand aus drei Inseln – einer großen Landmasse und zwei kargen, kleinen Felseilanden im Süden, Folke Mikill und Folke Smár. Anscheinend lebte auf einer der kleinen Inseln die einzige Banshee-Gemeinschaft außerhalb Villjamurs. Es hieß, die Frauen wohnten freiwillig in der Abgeschiedenheit, fern aller Menschen und Rumel, um ihren Frieden zu haben, da sie dann längst nicht so viele Tote beklagen mussten. Wie aber konnte eine Frauensiedlung sich so lange halten, ohne dass dort Kinder zur Welt kamen? Randur hatte sich oft ausgemalt, er wäre dort der einzige Mann …
    Eir stieß ihn in die Rippen, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Sie saß hinter ihm auf dem Pferd und wies über einen Wald hinweg auf eine Ansammlung von Dächern in der Ferne.
    Sie reisten an der Westküste entlang. Links verschmolz die trübe, einmal mehr kabbelige See am Horizont mit einem dunkelgrauen Himmel; rechts zog sich ein Wald in sanftem Bogen bis an eine niedrige Hügelkette. Da sie seit Tagen niemanden gesehen hatten, war diese Verheißung, auf Menschen zu stoßen, etwas beunruhigend und erinnerte sie eindringlich daran, dass sie nicht die Einzigen auf der Insel waren.
    »Drekka«, murmelte Randur, und das Wiedererkennen ließ ihn lächeln. »Der Ort trägt seinen Namen nach dem alten Wort für Trunk . Früher hieß es, dort werde gern gefeiert. Ich bin ein-, zweimal dort gewesen, aber auf anderen Wegen gekommen.«
    »Können wir die Nacht über dortbleiben?«, fragte Eir.
    »Das denke ich doch«, erwiderte Randur. »Zwar ist Drekka landwirtschaftlich geprägt, aber wegen des Hafens wird dort auch Handel getrieben. Ab und an kommen Reisende durch. Doch ich weiß nicht, wie die Dinge sich seit der Winterstarre entwickelt haben.«
    Es war eine Kleinstadt, in der Träume sterben gingen. Solche Orte mochten keine Veränderung, denn ihre Natur widersetzte sich den grundlegenden Gesetzen von Blüte und Verfall. Je weiter man die größten Städte der Insel – zumal Ule – hinter sich ließ, desto ferner rückte alles Weltoffene. Randur erinnerte sich nur, mit siebzehn, achtzehn Jahren mehrmals in Drekka gewesen zu sein, wo es mächtig starken

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