Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
heimischen Wodka gegeben hatte und die Frauen so gar nicht schüchtern gewesen waren. Nach jedem Besuch hatte er sich geschworen, nicht wiederzukommen, aber immerhin hatte sich hier stets ein Mädchen aufgabeln lassen, und das war den Aufwand dann doch wert gewesen, quer über die Insel zu reiten.
Das Zentrum lag an der Kreuzung zweier schnurgerader Durchgangsstraßen. In den Tavernen herrschte Hochbetrieb, konnte man sich in ihnen doch dem Spiel wie der Ausschweifung vollkommen überlassen. Es war ein Paradies für Falschspieler, die sich von Siedlung zu Siedlung arbeiteten. Randur fragte sich flüchtig, ob der Gasthof Schlampenbräu – eine etwas ruhigere, von der Hauptstraße abgerückte Unterkunft – Zimmer für sie hatte.
Auf dem Markt gab es vor allem landwirtschaftliches Gerät, und einige Männer schlurften herum und begutachteten die Ware. Die ehemalige Staubstraße zwischen den Häusern war zu einer Schneematsch-Schneise geworden. Die Gebäude – eine Mischung aus dunklem Stein und noch dunklerem Holz und höchstens zwei Etagen hoch – waren geräumig, da es hier viel Platz gab. Aus den meisten Schornsteinen stieg Rauch, und aus einem Meer an stroh- oder schiefergedeckten Dächern ragte die hölzerne Spitze einer Jorsalir-Kirche zaghaft über die übrigen Bauten.
Sie ritten in die Stadt, banden ihre Pferde an und begannen nach einer Unterkunft zu fahnden.
Im Schlampenbräu, einem tristen Lokal mit vier stattlichen Holzöfen, an dessen Wänden viel altes Bauerngerät – Siebe, Heugabeln, Scheffel, Schürhaken, Pikierstäbe – hing, das nur noch dekorativen Wert aufwies, gab es billige Mahlzeiten. Drei Männer saßen kameradschaftlich schweigend auf der einen Seite, während zwei alte Frauen neben der Theke Karten spielten. Randur trat auf den Wirt zu, einen schlanken Mann in den Fünfzigern mit einer Narbe am Kopf, der ihn aus erstaunlich blauen Augen ansah.
»Tach!«, grüßte Randur, während Rika und Eir reglos an der Tür verharrten. »Wir sind auf der Durchreise und brauchen ein Zimmer für die Nacht. Habt Ihr eins?«
»Möglich. Habt Ihr Bares?«
»Genug.«
»Dann habt Ihr ein Zimmer, Junge. Was wollt ihr drei denn trinken?«
Randur drehte sich halb zu Eir und Rika um: »Ich nehme ein kleines Ale, und die Mädchen –«
»Kapp Brimir!« Das war eine schrille Stimme, und sie klang nicht fröhlich. Randur warf einen verstohlenen Blick durchs Lokal. Wer kannte hier seinen richtigen Namen?
»Kapp! Ich weiß, dass du es bist!« Ein Mädchen stürmte aus der Küche, eine Brünette mit großen Augen und finsterer Miene. Sie marschierte direkt auf ihn zu und verpasste ihm eine Ohrfeige.
»Au!«, stieß er hervor.
»Denkst du, du kannst nach unserer einen Nacht einfach verschwinden? Du hast versprochen, mich nach Villjamur mitzunehmen. Du und deine Sprüche – die hast du nur gemacht, um mit mir ins Bett zu steigen, oder? Ihr Jungs wollt bloß euren Spaß und dann abhauen. Ha! Mit mir nicht!«
Randur wich etwas zurück und gestikulierte begütigend, um sie zu beruhigen. Dieser Auftritt spottete jeder Absicht, unauffällig zu bleiben. »Ich … ich –«
Ihre zweite Ohrfeige traf ihn auf die andere Wange und hätte ihn fast zu Boden gehen lassen. Mehlstaub rieselte von ihrer Hand.
»Du weißt sicher nicht mal mehr meinen Namen.«
Das stimmte allerdings.
Wie hätte er sich auch an jedes Mädchen erinnern sollen, mit dem er geschlafen hatte? Nein, konzentrier dich! Er warf Eir einen Seitenblick zu. Die funkelte ihn zornig und mit verschränkten Armen an und schaute dann weg.
Mist … Randur, das sieht gar nicht gut aus.
Er sah wieder das aufgebrachte Mädchen an. Wie hieß sie nur? »Ich hatte es dir sagen wollen … Ich wurde abberufen – ein Notfall. Meine Fechtkunst war dringend vonnöten.«
»Und noch immer strömen ihm Lügen aus dem widerlichen Maul?« Sie holte erneut aus.
Als Randur zusammenzuckte und die Augen schloss, kippte sie ihm das bestellte Glas über den Kopf und marschierte zurück in die Küche. Er sah sich verlegen im Lokal um, und das Bier tropfte ihm vom Gesicht.
»Dein Getränk bezahlst du hoffentlich, Junge«, brummte der Wirt. »Macht hundert Drakar. Ich bin schließlich keine Wohltätigkeitseinrichtung.«
Im Zimmer standen vier schmale Betten, zwei an der linken, zwei an der rechten Wand. Der schäbige braune Teppichboden hatte sich da und dort von den Dielen gelöst, und bis auf sechs Kerzen gab es nicht viel zu sehen. Die Unterkunft war weit entfernt vom
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