Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
sowieso nicht mehr viel.« Er stellte einen Roten auf den Tisch und füllte nach kurzem Überlegen, bei dem das Gespräch über den Austausch von Blicken weiterlief, ihre Gläser. »Mein lieber Kapp sagt, ihr seid aus Villjamur. Wie sind zwei solche Jokull-Schönheiten denn hier am Ende der Welt gelandet?«
»Wir müssen jemanden in Villiren besuchen«, sagte Rika.
»Verehrte Lady«, erwiderte Munio, »es ist lange, viel zu lange her, dass ich eine Frau gehört habe, die sich so wohlgesetzt auszudrücken weiß wie Ihr. Zu meiner Zeit hatte ich mit vielen Grundbesitzern zu tun, und fast immer war eine wortgewandte Dame dabei. Viele davon haben Gefallen an mir gefunden. Damals.«
Rika warf Randur einen raschen Blick zu. »Er hat dich offenbar nicht nur im Schwertkampf unterrichtet.«
» Vitassi «, bemerkte Munio, »ist nicht bloß Schwertkampf – es ist eine Lebensweise. Nun, meine Damen, Kapp, logiert ihr etwa in dieser Spelunke?«
»Allerdings«, sagte Eir.
»Das ist kein Ort für kultivierte Frauen wie Euch. Kommt, ich besitze ein kleines Herrenhaus, kaum eine Stunde entfernt. Lasst uns dorthin reiten und Herrlichkeiten genießen, wie ihr sie nie gesehen habt!«
Das bezweifle ich ernstlich , dachte Randur.
»Zugegeben, der Bau kann eine Renovierung vertragen.« Munio ging im großen Saal auf und ab und zündete auf Tischen und Anrichten farbige Laternen an, was die Düsternis erst in Halbdunkel, dann in schreiende Farbenpracht verwandelte, in der alles sichtbar war. Von außen war das Gebäude stattlich wie das schönste Gutshaus gewesen, erwies sich nun aber als nicht sehr ansprechend. Es handelte sich gewiss nicht um eine Festungsanlage, aber was hätte eine plündernde Armee hier schon holen können? Die Symmetrie der Anlage hatte etwas Klassisches, obwohl der Bau weder Säulen noch Blattornamentik aufwies.
»Ich weiß nicht, wie alt der Bau ist«, flüsterte Munio, »aber als ich ihn erwarb, ließ ich ihn renovieren. Teppiche und Wandbehänge stammen überwiegend aus Villiren und können es mit allem aufnehmen, was ihr aus Villjamur kennt. Aber ich habe ihre Reinigung vernachlässigt.« Er beugte sich zu Rika und wirkte dabei zuversichtlich. »Es ist eine solche Last, allein zu leben. Leider habe ich weder Frau noch Diener, die mir helfen könnten.«
Vielleicht war dieser Doppelwürfelsaal einst kostbar ausgestattet gewesen, doch inzwischen waren die Wandteppiche verschimmelt und das Teppichmuster unter Staub begraben. Ein Rußfilm lag auf den Gemälden, und die unbekannten Gesichter waren zu geisterhaften Erscheinungen verblasst. Klobige silberfarbene Ornamente, die Randur nicht zuordnen konnte, prangten protzig auf Kaminsims und Beistelltischen, als wären sie bloß aus einer Laune heraus gesammelt worden. Die meisten Möbel waren aus dunklem Eichenholz, und alles hätte längst einmal kräftig poliert werden müssen. Allein die Ledersessel um den Kamin herum, an dem Munio sich nun zu schaffen machte, um den Saal zu beheizen, waren hübsch arrangiert.
»Oben habe ich mehrere Schlafzimmer«, erklärte er zuversichtlich. »Ich hoffe doch, dass ihr mein Heim zum Bleiben für tauglich haltet.«
»Bestimmt«, beruhigte ihn Rika. »Sehr nett von Euch, uns einzuladen.« Dann sah sie Eir und Randur fragend an.
»Ja, wirklich«, pflichtete Eir ihr bei. »Vielen Dank!«
Was will der alte Mistkerl? , überlegte Randur. So uneigennützig zu sein, ist nicht seine Art.
Mitten in der Nacht lag Randur wach auf einem Bett in der »Suite«, einer vernachlässigten Zimmerflucht, in der Munio sie einquartiert hatte. Eir und Rika schliefen aneinandergekuschelt auf einer Doppelpritsche am Fenster, durch das nur tiefschwarze Nacht zu sehen war. Kein Licht in der Ferne ließ auf ein Dorf oder eine kleine Stadt schließen. Immer wieder drückte der Wind gegen die Scheibe. In der Zimmerecke flackerte eine Kerze.
Randur konnte nicht einschlafen, sondern ging andauernd Erinnerungen durch und stellte immer neue, schemenhafte Strukturen und Bezüge her. Er unterdrückte ein Lachen: Sein alter Fechtlehrer, ein abgewirtschafteter Trunkenbold. Wie hatten die Dinge sich verändert! Munio war niemand mehr, der ihn einschüchterte und herumstieß.
Mit raschem Blick auf die Mädchen stand er auf, verließ das Zimmer, schlich im Stockdunklen die Treppe hinunter und orientierte sich dabei mit der Hand an der Wand. Weil es im ganzen Herrenhaus dunkel war, sprang ihm ein Lichtschimmer, der aus einem der Räume kam, sofort ins
Weitere Kostenlose Bücher