Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
Vom Netzwerk:
Boreal-Archipel. Jahrtausendelang hatte er versucht, sich an etwas aus seinem Vorleben zu erinnern, an die Zeit also, die er anderswo verbracht hatte (weswegen er der Welt der Menschen und Rumel erst mit kleinkindhafter Ahnungslosigkeit gegenübergestanden hatte). Damals hatte er die Sprache Jamurs von Grund auf lernen müssen – und beherrschte inzwischen fünfzig Sprachen dieser Welt.
    Man hatte ihm gesagt, er sei herumstreifend im Grasland vor Villjamur aufgegriffen und zunächst für einen Propheten, dann gar für einen Schöpfergott vom Stamm Dawnir gehalten worden. Und als endlich allen klar war, dass er von der Welt nichts wusste und ihnen nichts geben konnte, hatten sie das Interesse an ihm verloren – so war das Leben. Seither war er ein gefangener Gast des Rats von Villjamur gewesen, der ihn zu seinem eigenen Besten ungern unter die Leute gelassen hatte, auf dass ihn nicht unzufriedene Stadtbewohner als ihren Religionsführer bejubelten.
    Er hatte in seinen Zimmern vegetiert, sich aber mit gewaltigen Büchermengen umgeben, aufmerksam studiert und fast jeden erreichbaren Text gelesen, um herauszufinden, wer er war und woher er kam. Vor Kurzem dann hatte sich die hochwillkommene Gelegenheit ergeben, seine dunkle Klause in der Kaiserresidenz Balmacara zu verlassen. Dass er nun sogar die Möglichkeit bekommen sollte, eine neu entdeckte Gattung von Lebewesen zu untersuchen … nun, darüber war er völlig aus dem Häuschen. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten bot sich ihm die Chance, etwas über seine Ursprünge zu erfahren, denn sollten diese gepanzerten Geschöpfe aus einer anderen Welt stammen, würden sie ihm womöglich wertvolle Informationen liefern.
    Und Informationen waren sein Leben. Vielleicht würde er nun endlich Antwort auf seine Fragen bekommen.
    Angesichts seiner Größe musste er sich beugen, um in die Zelle zu passen. Zudem wäre er mit seinen Stoßzähnen fast am Türrahmen hängen geblieben. Schon mehrmals hatte er sie sich an den engen Mauern seines neuen Heims angekratzt. Als sich ein Spinnennetz an seinem Ohr verfing, strich er mit der Hand durch sein dickes Fell. Dann senkte er den Kopf, um Brynd anzusehen, und nahm dabei einen Großteil des freien Platzes in der Zelle ein.
    »Kommandeur Brynd Lathraea und Leutnant Nelum Valore – es ist mir ein Vergnügen. Wie ich höre, schlafen unsere krustentierartigen Freunde nicht länger wie die Engel?«
    »Sele von Jamur!«, begrüßte ihn der Kommandeur und wirkte einmal mehr erheitert über das, was Jurro sagte. Der Dawnir hielt viel von Brynd. Er war ein vernünftiger Mann, ein Philosoph und zugleich ein Krieger. Die beiden hatten sich während vieler Jahre in Jurros abgelegenem Reich in Villjamur unterhalten.
    »Dann zeig ich Euch die Dinger jetzt.«
    Jurro spürte die Blicke einiger Nachtgardisten auf sich, als sie zur Seite traten, um ihn durchzulassen. Menschen bewegten sich immer so rasch, als wären all ihre Handlungen dringend.
    Es war nicht einfach, der Einzige seiner Gattung zu sein. Selbst den beiden Okun gegenüber war seine Art gegenwärtig in der Unterzahl. Brynd brachte ihn mit knappen Worten auf den neuesten Stand der Untersuchung. Dann führten sie ihn zu den beiden Geschöpfen, die auf dem gefliesten Boden sichtlich zitterten.
    Kaum hatten sie die Anwesenheit des Dawnir bemerkt, erstarrten sie. Dann rappelten sie sich synchron zu einer annähernd stehenden Haltung auf, doch das fiel ihnen schwer, und ihre Bewegungen wirkten tollpatschig. Kurz darauf sanken sie gemeinsam auf die Knie, als stünde ein Jorsalir-Priester vor ihnen.
    Der Kommandeur wandte sich an seinen Leutnant: »So haben die sich ja noch nie benommen.«
    »Faszinierend«, murmelte Jurro und duckte sich, um mit den Menschen ringsum auf Augenhöhe zu sein. Die Okun wichen nicht zurück, als der Dawnir sie musterte. Sie fingen wieder zu klicken an, zunächst zusammenhanglos, doch dann begann er ihre Laute zu verstehen. Oder vielleicht erkannte er sie auch mehr wieder, als dass er sie verstand. Immerhin hatte er jahrhundertelang in seinen Zimmern in Villjamur Bücher lesen müssen beziehungsweise dürfen. Das Wissen, das er dabei angesammelt hatte, war nur hier draußen nützlich, in der wirklichen Welt. Es war eine große Erleichterung für ihn, endlich eine Aufgabe zu haben und keine bloße Kuriosität mehr zu sein.
    »Versteht Ihr diese Laute?«, fragte ihn der Kommandeur.
    Jurro drehte sich zu den Menschen um. Sie alle erschienen ihm zunächst gleich; nur Brynds

Weitere Kostenlose Bücher