Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
anderen lachten.
Nelum sprang auf und folgte Brynd.
Jeder Schritt hallte, jeder Atemzug war deutlich zu hören, als sie einen Zitadellenflur entlangschritten und auf einen Laufgang hinaustraten, der hinter den Zinnen verlief.
Es war spätabends, und Wolken verhüllten beide Monde. Nur ein paar Wachen der Dragoner waren hier oben postiert, Bogenschützen mit scharfem Auge und weitreichenden Waffen, die in ihrer grün-braunen Uniform im Dunkeln kaum zu erkennen waren. Sie salutierten knapp und ehrerbietig, als die Nachtgardisten vorbeikamen, und richteten den Blick dann wieder nach Norden.
Schließlich blieben Brynd und Nelum an einem Turm ganz im Osten der Zitadelle stehen und starrten in die schwarze Ferne. Unten leerten sich die Tavernen, und trunkene Lieder und harmlose Frauenschreie drangen herauf.
»Verfahrt mit dem, was ich nun sage, nach Belieben, Leutnant«, begann Brynd.
»Fahrt fort!« Nelum sah ihn aufrichtig an, und Brynd wartete, solange er konnte.
»Alles in Ordnung, Kommandeur?«
Brynd berichtete ihm in knappen Brocken und so diskret wie möglich, was gerade geschehen war, doch letztlich sagte er ihm die Wahrheit: Dass er wegen eines Gerüchts erpresst wurde, das alles zerstören konnte, worauf sie hinarbeiteten.
»Ich verstehe das Dilemma«, versicherte Nelum. »Darf ich fragen, um welche Art Gerücht es sich handelt?«
Die Frage lastete zwischen ihnen.
»Seine Vorwürfe sind persönlicher Natur«, sagte Brynd.
»Nämlich?«
»Behauptungen, ich hätte Beziehungen mit – ich brauche Euch natürlich nicht zu sagen, dass es sich dabei um Unsinn handelt –, mit anderen Männern. Ich halte das für eine bloße Ausrede, damit seine Gang nicht auf unserer Seite kämpfen muss.« Er stieß ein selbstbewusstes Lachen aus. »Aber wie geht man damit um, falls solche Lügen alles ins Wanken bringen, worauf wir hinarbeiten? Der Kerl ist ungemein gut vernetzt und gebietet über sehr viele Männer.«
Nelums Miene blieb ausdruckslos, und Brynd vermochte ihn nicht länger anzusehen. Er rieb sich die klammen Hände und trat ein paar Schritte beiseite.
Schließlich antwortete sein Leutnant zögernd: »Solche Dinge … na ja, die passieren schon mal in der Armee, oder? Will sagen: Ich hab schon davon gehört, dass Männer bei Einsätzen fern der Heimat mit Männern schlafen … Und niemand spricht am nächsten Tag darüber.«
»Ihr wisst das, ich weiß das – fast jeder Soldat, der sich für länger als ein Jahr verpflichtet hat, weiß davon«, knurrte Brynd und funkelte seinen Leutnant zornig an.
Nelums Schweigen war lastend.
»Diese Gerüchte sind ernst genug, um den guten Ruf der Nachtgarde zu zerstören, und das könnte all unsere Pläne und Verteidigungsbemühungen zunichtemachen.«
Der Leutnant blieb ungerührt; nur sein Atem wölkte vor ihm auf. »Es ist doch noch gar nichts passiert. Bringen wir den Kerl doch einfach um.«
»Er sagte, auch andere wüssten davon, und falls er verschwände, würden die eben diese Dinge verbreiten.«
»Vielleicht blufft er nur?«
»Aber was denkt Ihr darüber?« Brynd wandte sich Nelum erneut zu, um ihm endlich eine Reaktion zu entlocken. Das war ihm wichtig, um darauf wiederum angemessen antworten zu können. »Ich weiß, dass Ihr Euch für die Jorsalir-Lehren begeistert, die solche Taten nicht gerade gutheißen. Ich muss dafür sorgen, dass diese Lügen sich nicht verbreiten.«
»Was geht’s mich an, was die Soldaten und Soldatinnen in ihrer Freizeit treiben?« Sein harscher Ton und seine Verbitterung deuteten darauf hin, dass er Brynds Lügen durchschaute. »Ihr seid anerkanntermaßen einer der fähigsten Soldaten unserer Armee, und wir alle müssen durchhalten – egal, was behauptet wird.«
Brynd verlor die Nerven und stieß seinen Leutnant zornsprühend gegen die Mauer. Nelum zuckte nicht mal. Beide taxierten sich und warteten, was ihr Gegenüber als Nächstes täte. »Das sind Gerüchte, verstanden? Ich hab Euch nur davon erzählt, weil ich Euren verdammten Rat zu schätzen weiß.«
Die Wellen, die sich an der Mole brachen, schienen Brynd wieder zu Verstand zu bringen. Er lockerte seinen Griff, brummte eine Entschuldigung und legte die Hände auf die meerseitige Brüstung.
»Allerdings. Und darum sollten wir auf verschiedene Szenarien gefasst sein«, fuhr Nelum fort, als wäre nichts gewesen. »Zudem sollten wir unsererseits Gerüchte lancieren, wonach die Ehre der Offiziere herabgesetzt werden soll. Wir könnten behaupten, feindliche Agenten, die
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