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Die Legende Der Wächter 07: Der Verrat

Die Legende Der Wächter 07: Der Verrat

Titel: Die Legende Der Wächter 07: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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dabei war alles ganz lebensecht gewesen. Otulissa hatte den heißen Atem der riesigen Urzeitwölfe förmlich gespürt, die um den Vulkankrater herumschlichen. Die Wölfe bewachten den Vulkan, weil er in seinem Inneren etwas barg, das wertvoller war als alles Gold und alle Tupfen: die Glut von Hoole. Im Traum wandte sich Otulissa an den Leitwolf und sagte zu ihm: „Ihr braucht den Vulkan nicht zu bewachen. Niemand kann in den Krater hineinfliegen und die Glut von Hoole stehlen. Jede Eule würde sofort verbrennen. Warum macht ihr euch die Mühe?“
    Die Wölfe blieben stehen. Sie rissen die Mäuler mit den blitzenden Reißzähnen auf und lachten bellend. Warum lachen sie mich aus? , hatte Otulissa gedacht. Da spürte sie, wie der Vulkan bebte. Funken stoben durch die Luft. Bloß weg hier, sonst verbrenne ich! Ein Glutbrocken landete auf ihrem Deckgefieder. Otulissa schüttelte ihn sofort ab. Es roch trotzdem nach versengten Federn. Mit ihrer Glutsammlerbrigade war Otulissa schon in unzählige Waldbrände hineingeflogen und hatte sich noch kein einziges Mal verbrannt. Auch beim Fackelkampf war ihr das noch nie passiert.
    Dann sah sie wieder vor sich, wie ihr großes Vorbild Strix Struma in der Schlacht gefallen war. Einer ihrer Flügel war abgerissen, der andere hatte in Flammen gestanden. Brennend war die Anführerin der Kauzkämpfer ins Hoolemeer gestürzt. Otulissa konnte vor Entsetzen nur auf der Stelle fliegen. „Nein, nein!“, flüsterte sie, aber sie konnte ihrer geliebten Lehrerin nicht helfen. Auf einmal sah Otulissa Federn im aufgewühlten Wasser treiben. Es waren aber nicht Strix Strumas Federn, sondern goldbraune Schleiereulenfedern. Nun hörte Otulissa auch einen gellenden Schrei. Die Schleiereule war anscheinend in höchster Not. Otulissa wollte zu ihr hinfliegen, aber sie war flügelstarr geworden. Das kann nicht sein , beschwerte sich Otulissa im Traum. Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht flügelstarr!
    Als Otulissa am Abend aufwachte, wusste sie nicht mehr, dass sie geträumt hatte. Nur der Schrei einer Schleiereule und das Tosen des Hoolemeers klangen ihr noch in den Ohren. Sie erklärte es sich damit, dass sich über dem Hoolemeer ein Sturm zusammenbraute. Ezylryb hatte gemeint, die Sturmfront zöge vom Schattenwald heran. Otulissa gab nichts auf Träume. Sie hielt sich etwas auf ihren wissenschaftlichen Verstand zugute. Trotzdem war sie wie zerschlagen und todmüde, obwohl sie den ganzen Tag durchgeschlafen hatte. Doch das lag bestimmt nur am niedrigen Luftdruck, der das schlechte Wetter ankündigte. Otulissa griff nach ihrem Lieblingsbuch: Luftdruck und Turbulenzen – ein Leitfaden. Verfasserin des Werkes war eine verstorbene Verwandte von Otulissa, die bedeutende Wetterwissenschaftlerin Strix Emerilla.
    Die Nächte wurden wieder kürzer, die Tage länger. Die Winterstürme hatten im Schattenwald gewütet und viele alte Bäume umgerissen, bevor sie sich über dem Hoolemeer austobten. Doch jetzt legten sich die eisigen Winde und der Schnee schmolz. Die Sonne wanderte am Himmel wieder höher, der Frühling kündigte sich an. Nyrocs Federn wuchsen nach, aber er traute sich nicht, nachts ans Seeufer zu trippeln und sein Spiegelbild zu betrachten. Er hatte Angst, dass wieder Nebel aus dem Wasser aufsteigen und sich zum Geisterschnabel seines Vaters verdichten würde. Darum begnügte er sich damit, mit verrenktem Hals an sich herabzuspähen und seine Federn durchzuzählen. Das Schwanzgefieder war wieder vollständig und auch die Fransen waren nachgewachsen. Am meisten freute sich Nyroc jedoch, als der Ansatz der elften Armschwinge zum Vorschein kam. Da hätte er am liebsten laut gejubelt, aber das verkniff er sich natürlich. Stattdessen dachte er sich ein kleines Lied aus. Von Philipp wusste er, dass Eulenmütter ihren Kindern oft etwas vorsangen. Nyra hatte das nie getan. Später, wenn Nyroc selbst Küken hatte, würde er ihnen sein Liedchen beibringen. Bis dahin sang er es sich selbst ganz leise vor.
    Zeigt die elfte Feder sich –
Eulenkind, dann freue dich!
Mit der elften fliegst du hoch,
Höher als die Wolken noch!
    Beim Singen hüpfte Nyroc vergnügt von einem Fuß auf den anderen. Das Hasenohr-Moos auf dem Boden seiner Höhle war schon ziemlich zerbröselt. Nyroc hatte draußen vor dem Baum anderes Moos gesammelt, das aber längst nicht so weich war.
    Bald würde er seinen behaglichen Unterschlupf verlassen müssen. Dieser Teil des Schattenwaldes war noch zu nah an seiner alten Heimat.

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