Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Werk, ihre Hände regten sich so fleißig wie die aller anderen. Von ihr ging die Stille aus. Der Ausdruck ihres Gesichts war gelassen, beinahe friedvoll, ihre Selbstgenügsamkeit so deutlich, daß ich die Mauern zu sehen glaubte, die sie umschlossen. Hinter der Maske unverbindlicher Liebenswürdigkeit war nichts von ihr zu spüren. Sie glich einem mit stillem, kühlem Wasser gefüllten Behälter. Ihr langes, schlichtes Gewand war von der Art, wie man es in den Bergen trug, und sie hatte keinen Schmuck angelegt. Bei meinem Nähertreten hob sie mit einem fragenden Lächeln den Kopf. Ich fühlte mich wie ein Eindringling, eine Störung für fleißige Schüler und ihre Lehrmeisterin. Statt sie einfach zu begrüßen, versuchte ich deshalb meine Anwesenheit zu rechtfertigen. Ich wählte meine Worte sorgfältig, eingedenk der vielen lauschenden Frauen.
»Hoheit, König-zur-Rechten Veritas hat mich beauftragt, Euch eine Nachricht zu überbringen.«
Ein kurzes Flackern im Hintergrund ihrer Augen, sogleich wieder erloschen. »Ja«, sagte sie ausdruckslos. Keine der Nadeln unterbrach ihr Auf und Ab, doch ich war sicher, jedes Ohr wartete gespannt darauf, was ich der Königin von ihrem Gemahl mitzuteilen hatte.
»Oben auf dem Turm gab es früher einen Garten, genannt der Königin Sommerfrische. Einst, sagte König Veritas, ergötzte man sich dort an Blumen und Teichen und Windharfen. Es war der Garten seiner Mutter. Meine Königin, es ist sein Wunsch, daß Ihr ihn haben sollt.«
Die Stille um den Tisch war fast greifbar. Kettrickens Augen öffneten sich weit. Vorsichtig fragte sie: »Bist du sicher, mir diese Botschaft richtig überbracht zu haben?«
»Selbstverständlich, Hoheit.« Ich war verwirrt. »Er sagte, es würde ihm große Freude breiten, den Garten zu neuem Leben erweckt zu sehen. Er sprach mit viel Wärme davon und erinnerte sich besonders an die Beete mit blühendem Thymian.«
Das Glück auf Kettrickens Zügen entfaltete sich wie eine Blume. Sie hob eine Hand vor den Mund und holte zwischen den Fingern hindurch zischend Atem. Eine Blutwelle stieg ihr ins Gesicht und färbte ihre Wangen rosig. Ihre Augen leuchteten. »Ich muß hinauf und den Garten sehen.« Sie erhob sich abrupt. »Rosemarie? Meinen Umhang und die Handschuhe bitte.« Strahlend wandte sie sich ihren Frauen zu. »Wollt Ihr Euch nicht ebenfalls Mäntel und Handschuhe bringen lassen und mich begleiten?«
»Hoheit, bei dem Wind heute…« begann eine aus dem Kreis zögernd.
Doch eine ältere Frau mit mütterlichen Zügen, Lady Modeste, stand langsam auf. »Ich werde mit Euch auf den Turm steigen. Pluck!« Ein kleiner Junge, der dösend in der Ecke gesessen hatte, sprang auf. »Lauf und hol mir meinen Umhang und die Handschuhe. Und die Haube.« An Kettricken gewandt, erklärte sie: »Ich erinnere mich gut an diesen Garten aus der Zeit von Königin Constance. Viele schöne Stunden habe ich dort in ihrer Gesellschaft verbracht. Ich will gerne dabei helfen, ihn wiedererstehen zu lassen.«
Einen Augenblick der Unschlüssigkeit, dann folgten die übrigen Frauen ihrem Beispiel. Als ich mit meinem eigenen Umhang zurückkam, waren sie alle zum Aufbruch bereit. Es war ein ziemlich seltsames Gefühl, diese Prozession holder Weiblichkeit durch die Burg zu führen und dann die lange Treppe zum Garten der Königin hinauf. Eingerechnet die Pagen und die Neugierigen, waren es rund zwanzig Leute, die Kettricken und mir folgten. Auf den steilen Stufen ging Kettricken unmittelbar hinter mir, die anderen zogen sich in dem engen Schacht zu einer langen Schlange auseinander. Als ich mich gegen die massive Tür stemmte, um sie gegen den Widerstand des angewehten Schnees draußen aufzudrücken, fragte Kettricken leise: »Er hat mir vergeben, nicht wahr?«
Ich hielt inne, um Atem zu schöpfen. Mich hier mit der Tür abzuplagen tat der Wunde an meinem Hals gar nicht gut. Mein Unterarm pochte dumpf. »Hoheit?« antwortete ich zerstreut mit einer Gegenfrage.
»Mein Gebieter hat mir vergeben. Und dies ist seine Art, es mir zu zeigen. Oh, ich werde einen Garten für uns beide schaffen. Ich werde ihm niemals wieder Schande machen.« Während ich auf ihr verzücktes Lächeln starrte, lehnte sie die Schulter gegen die Tür und schob sie auf. Ich trat nur einen Schritt hinaus und blieb stehen, geblendet von der wäßrigen Helligkeit des Wintertags, doch nichts konnte sie abhalten, sofort einen Rundgang durch ihr neues Reich zu unternehmen. Ich schaute mich um und fragte mich,
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