Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
»Und mehr werde ich dazu nicht sagen. Zu Bett jetzt, Fitz. Zu Bett.«
Mit der festen Absicht, seinem Rat zu folgen, ging ich die Treppe hinunter. Wie jedesmal schnappte die Tür zu, kaum daß ich hindurchgetreten war; den Mechanismus hatte ich in all den Jahren, die ich dieses Zimmer bewohnte, nicht entdecken können. Ich warf Holz ins Feuer, dann setzte ich mich auf mein Bett und zog das Hemd über den Kopf. Trotz meiner Müdigkeit bemerkte ich Mollys Duft, der, unter dem Stoff gefangen, jetzt von meiner warmen Haut aufstieg. Einen Moment zögerte ich, das Hemd in der Hand, dann zog ich es wieder an, ging zur Tür und schlüpfte in den Flur hinaus.
Nach dem Maßstab einer gewöhnlichen Nacht war es spät, aber dies war die erste Nacht des Winterfestes. Die meisten der Feiernden würden nicht ins Bett finden, bis am Horizont der Morgen graute, und andere würden den Tag in einem anderen Bett als dem eigenen begrüßen. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als mir klar wurde, daß ich gedachte, der letzteren Gruppe anzugehören.
Flur und Treppen lagen nicht still und verlassen da, wie sonst zu später Stunde. Die meisten von denen, die sich hierher zurückgezogen hatten, waren entweder zu betrunken oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um von mir Notiz zu nehmen. Und falls mich doch jemand bemerkte und erkannte, nun, ich war entschlossen, mir am nächsten Tag bei neugierigen Fragen das Winterfest als Entschuldigung dienen zu lassen. Trotzdem war ich so diskret, mich zu vergewissern, daß niemand zu sehen war, bevor ich an ihre Tür klopfte. Keine Antwort, doch als ich die Hand hob, um nochmals zu klopfen, schwang die Tür lautlos zurück in die Dunkelheit.
Die Angst traf mich wie ein Faustschlag. Ohne einen Augenblick des Zweifels war ich überzeugt, daß ihr etwas zugestoßen war, jemand hatte sie überfallen, ihr wer weiß was angetan und dann im Finstern liegengelassen. Ich sprang ins Zimmer und rief ihren Namen. Hinter mir schloß sich die Tür, und »Pst!« befahl sie.
Ich fuhr herum, aber meine Augen brauchten eine Weile, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Der Schein des Feuers war die einzige Beleuchtung im Raum, und ich stand mit dem Rücken dazu. Als ich endlich etwas erkennen konnte, stockte mir der Atem.
»Hast du mich erwartet?« brachte ich schließlich heraus.
Mit einer schnurrenden Stimme erwiderte sie: »Nur seit Stunden.«
»Ich dachte, du wärst bei dem Fest in der großen Halle.« Langsam kam mir zu Bewußtsein, daß ich sie dort nicht gesehen hatte.
»Ich wußte, man würde mich dort nicht vermissen. Nur einer vielleicht. Und ich dachte, vielleicht würde dieser eine hierher kommen, um mich zu suchen.«
Ich stand nur da und schaute sie an. Sie trug einen Kranz aus Stechpalmen auf der lockigen Haarflut. Sonst nichts. An die Tür gelehnt, bot sie sich meinen Blicken dar. Wie kann ich erklären, welche Veränderung sich vollzogen hatte? Zuvor waren wir gemeinsam ins Unbekannte vorgedrungen, forschend und lernbegierig. Dies war anders. Dies war die selbstbewußte Einladung einer Frau. Gibt es etwas Unwiderstehliches als das Wissen, von einer Frau begehrt zu werden? Es war überwältigend und beglückend und sprach mich frei von allen Dummheiten, die ich je begangen hatte.
Winterfest.
Das Geheimnis des Herzens der Nacht.
Ja.
Vor Tagesanbruch schüttelte sie mich wach und schickte mich aus ihrem Zimmer. Der Abschiedskuß, den sie mir gab, bevor sie mich aus der Tür schob, war derart, daß ich im Flur stehenblieb und mir einzureden versuchte, bis zum Morgen hätte es noch gute Weile. Nach ein paar Augenblicken rief ich mir ins Gedächtnis, daß niemand von unserem Verhältnis wissen durfte, und wischte das törichte Lächeln von meinem Gesicht. Ich zog mein zerknittertes Hemd glatt und machte mich auf den Weg zur Treppe.
In meinem Zimmer angelangt, überfiel mich eine fast betäubende Müdigkeit. Wie lange war es her, seit ich eine ganze Nacht hatte durchschlafen können? Ich setzte mich auf mein Bett, zog das Hemd aus, ließ es zu Boden fallen, sank zurück und schloß die Augen.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ mich hochfahren. Lächelnd stand ich auf. Ich lächelte immer noch, als ich die Tür weit öffnete.
»Gut, du bist wach! Und fast angezogen. So, wie du gestern abend ausgesehen hast, fürchtete ich, dich am Kragen aus dem Bett zerren zu müssen.«
Es war Burrich, frisch gewaschen und gebürstet. Die Querfalten an der Stirn waren die einzigen
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