Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
in Ordnung?« fragte mich Burrich.
»Mir geht es gut, mir geht es ausgezeichnet«, erklärte ich beiden, als die Flutwellen meines Gelächters verebbten.
Ich richtete mich auf, ich schüttelte den Kopf, und ich schwöre, ich konnte spüren, wie mein Gehirn sich den Grenzen der Vernunft fügte. »Veritas«, sagte ich und nahm sein Bewußtsein in mich auf. Es war leicht, es war immer leicht gewesen, doch zuvor hatte ich geglaubt, dabei etwas zu verlieren. Wir verschmolzen nicht zu einer Persönlichkeit, eher konnte man es mit aufgestapelten Schüsseln in einem Schrank vergleichen. Er war bequem zu tragen, wie ein fachmännisch gepackter Rucksack. Ich atmetete tief ein und hob die Axt. »Nächster Gang«, sagte ich zu Burrich.
Als er auf mich eindrang, befahl ich mir, ihn nicht mehr als Burrich zu sehen. Er war ein Fremder mit einer Axt, gekommen, um Veritas zu töten, und bevor ich mich zurückhalten konnte, hatte ich ihn zu Boden geschmettert. Er stand auf, schüttelte den Kopf, und ich bemerkte den Anflug von Ärger auf seinen Zügen. Wieder prallten wir zusammen, und wieder machte ich den Coup. »Und zum dritten«, sagte er und ein grimmiges Lächeln erschien auf seinem wettergegerbten Gesicht. Inzwischen hatte uns beide die Kampfeslust gepackt, wir fochten verbissen, und erneut behielt ich eindeutig die Oberhand.
Noch zweimal kreuzten wir die Waffen, bevor Burrich plötzlich vor einer meiner Attacken zurücktrat. Er stemmte den Axtkopf auf den Boden und stand vorgebeugt da, bis er wieder zu Atem gekommen war. Dann richtete er sich auf und sah Veritas an. »Er hat es begriffen«, sagte er heiser. »Er hat den Bogen heraus. Nicht, daß er schon ein Meister wäre. Man muß ihm noch den letzten Schliff geben, aber Ihr habt eine kluge Wahl für ihn getroffen. Die Axt ist seine Waffe.«
Veritas nickte langsam. »Und er ist die meine.«
KAPITEL 16
VERITAS’ SCHIFFE
Im dritten Sommer der Heimsuchung durch die Roten Korsaren erlebten die Kriegsschiffe der Sechs Provinzen ihre Feuertaufe. Obwohl nur vier an der Zahl, repräsentierten sie eine bedeutsame Wende in unserer Strategie. Die Zusammenstöße mit den Roten Korsaren in jenem Frühling brachten uns rasch zu der Erkenntnis, daß wir ihnen nicht viel entgegenzusetzen hatten; wir waren ein Volk von Bauern geworden. Doch immerhin Bauern, die sich entschlossen hatten, standzuhalten und ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Wie sich herausstellte, waren die Korsaren wilde und starke Kämpfer, was darin gipfelte, daß keiner von ihnen sich je ergab oder lebend gefangengenommen werden konnte. Diese Beobachtung hätte uns helfen können, das Rätsel des Entfremdens zu lösen oder etwas über die Natur unserer Gegner herauszufinden, doch zu der Zeit war der Hinweis zu subtil, und wir waren zu sehr damit beschäftigt zu überleben, um stutzig zu werden.
Der Rest jenes Winters verging so schnell wie die erste Hälfte langsam. Die verschiedenen Teile meines Lebens glichen Perlen, und ich war der Faden, der sie verband. Ich glaube, wenn ich mir die Zeit genommen hätte, um über die komplizierten Manöver nachzudenken, die ich vollführte, damit die einzelnen Bereiche sich nicht verquickten, wäre ich verzweifelt. Aber damals war ich jung, und irgendwie fand ich Kraft und Zeit, alles zu tun und jedem gerecht zu werden.
Mein Tag begann vor dem Morgengrauen mit dem Unterricht bei Veritas. Wenigstens zweimal in der Woche mußte ich mich Burrich und seiner Axt stellen, doch öfter waren Veritas und ich allein. Er arbeitete mit meinem Gabenpotential, aber nicht auf Galens Art. Da er spezielle Aufgaben für mich im Sinn hatte, erfolgte meine Ausbildung unter diesen Gesichtspunkten. Ich lernte, durch seine Augen zu sehen und ihn meine benutzen zu lassen. Ich übte mich darin, auf die behutsame Art zu reagieren, wie er meine Aufmerksamkeit lenkte sowie einen ständigen gedanklichen Informationsfluß aufrechtzuerhalten, der ihn über alles unterrichtete, was rings um uns vorging. Dazu gehörte, daß ich den Turm verließ und sein Selbst mit mir herumtrug wie einen Falken auf der Faust, während ich meinen sonstigen täglichen Pflichten nachging. Zuerst konnte ich die Verbindung nur wenige Stunden aufrechterhalten, doch im Lauf der Zeit gewöhnte ich mich daran, für Tage mein Bewußtsein mit ihm zu teilen. Allerdings schwächte der Kontakt sich auf Dauer ab. Es war keine echte Gabenkommunikation zwischen mir und Veritas, sondern ein durch Berührung hergestellter
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