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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Spuren der Ausschweifungen der letzten Nacht. Aus der langen Zeit, die ich mit ihm das Quartier geteilt hatte, wußte ich, auch ein noch so gewaltiger Kater hielt ihn nicht davon ab, pünktlich aufzustehen und seine Arbeit zu tun. Ich seufzte. Zwecklos, um Gnade zu bitten, von ihm war keine zu erwarten. Schicksalsergeben ging ich zu meiner Kleidertruhe, nahm ein frisches Hemd heraus und zog es an, während ich ihm zu Veritas’ Turm folgte.
    Es existiert eine Schwelle, körperlich wie mental. Nur wenige Male in meinem Leben war ich gezwungen, sie zu überschreiten, aber jedesmal passierte etwas Außerordentliches. Jener Morgen war eine dieser Gelegenheiten. Nach vielleicht einer Stunde stand ich in Veritas’ Turmgemach, mit bloßem Oberkörper und schwitzend. Der Winterwind blies durch das offene Fenster, doch ich fühlte keine Kälte. Die umwickelte Axt, die Burrich mir gegeben hatte, war nur wenig leichter als die Welt selbst, und das Gewicht von Veritas’ Gegenwart in meinem Kopf schien mir das Gehirn aus den Augen zu pressen. Ich hatte keine Kraft mehr, um die Axt als Deckung hochzuhalten. Burrich griff erneut an, und ich begegnete ihm mit einer schwachen Parade, die er leicht überwand. Einen, zwei Schläge mußte ich einstecken, nicht hart, aber trotzdem spürbar. »Und du bist tot«, sagte er, trat zurück, stützte sich auf seine Axt und schnaufte. Ich ließ meinen Axtkopf dumpf auf den Boden prallen. Sinnlos.
    Veritas in meinem Kopf verhielt sich sehr still. Ich schaute zu ihm hin, wo er saß und durch das Fenster übers Meer zum Horizont starrte. Die Morgenhelligkeit zeigte gnadenlos die Falten in seinem Gesicht und das Grau in seinem Haar, seine zusammengesunkene Haltung spiegelte wider, wie ich mich fühlte. Ich schloß meine Augen für einen Moment, zu müde, um mich zu rühren oder etwas zu sagen. Und plötzlich waren wir eins. Ich blickte zum Horizont unserer Zukunft. Wir waren ein Land, belagert von einem erbarmungslosen Feind, der nur über uns herfiel, um zu verstümmeln und zu töten. Das war das einzige Bestreben der Roten Korsaren. Sie brauchten keine Felder zu bestellen, keine Familien zu beschützen, kein Vieh zu hüten – nichts lenkte sie von ihrer Lust am Zerstören ab. Wir hingegen waren von den Anforderungen des täglichen Lebens in Anspruch genommen und mußten gleichzeitig Maßnahmen treffen, uns vor ihren Überfällen zu schützen. Für die Roten Korsaren waren ihre Raubzüge das tägliche Leben. Mehr als dieser Zielstrebigkeit bedurfte es nicht, um uns in die Knie zu zwingen. Wir waren keine Kämpfer, seit Generationen nicht mehr. Wir dachten nicht wie Kämpfer. Sogar jene von uns, die als Soldaten in der Armee dienten, waren ausgebildet, gegen einen berechenbaren Feind zu Felde zu ziehen. Wie sollten wir uns gegen eine Horde von Wahnsinnigen behaupten? Was stand uns an Waffen zur Verfügung? Ich schaute mich um und sah mich. Mich als Veritas.
    Ein Mann, aufgerieben zwischen der Verteidigung seines Volkes und dem Bemühen, nicht der süchtig machenden Ekstase der Gabe zu erliegen. Ein Mann, der versuchte, uns aus der Schrecklähmung zu reißen und zur Gegenwehr anzuspornen. Ein Mann, den Blick in die Ferne gerichtet, während wir in den Räumen unter ihm jammerten und intrigierten und zankten. Sinnlos. Wir waren zum Untergang verurteilt.
    Der Mahlstrom der Resignation drohte mich in die Tiefe zu ziehen. Doch plötzlich, im Mittelpunkt des tosenden Strudels, fand ich einen Platz, an dem ich stehen konnte. Einen Platz, von dem aus betrachtet das Ganze einfach komisch war. Furchtbar komisch. Vier kleine Kriegsschiffe, noch nicht ganz fertig, mit unerfahrener Mannschaft. Wachtürme und Signalfeuer, um die unfähigen Verteidiger zur Schlacht zu rufen. Burrich mit seiner Axt und ich halbnackt in der Kälte. Veritas, der aus dem Fenster starrte, während ein Stockwerk tiefer sein Bruder Edel ihrer beider Vater mit Drogen vergiftete. In der Hoffnung, seinen Geist zu verwirren und Erbe dieses ganzen Schlamassels zu werden, wahrscheinlich. Es war alles so absurd. Und so absolut undenkbar, es aufzugeben. Ein Lachen quoll aus meinem Inneren empor, ich konnte es nicht zurückhalten. Ich stützte mich auf meine Axt und lachte, als wäre die Welt der größte Spaß, den ich je erlebt hatte, während Burrich und Veritas mich anstarrten. Der Schatten eines verständnisinnigen Lächelns krümmte Veritas’ Mundwinkel; ein Licht in seinen Augen war Abglanz meiner perversen Lustigkeit.
    »Junge? Alles

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