Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
bemerkenswert, trotz ihrer fortgeschrittenen Jahre. Charim, Veritas’ Kammerdiener, war schon so lange bei ihm und hatte ihn auf so vielen Kampagnen begleitet, daß gar nicht erst der Gedanke aufkam, er könne zurückbleiben. Maron, braun wie sein Name, gehörte seit mehr als zehn Jahren Veritas’ Leibwache an. Ihm fehlten ein Auge und der größte Teil einer Ohrmuschel, ungeachtet dessen schien er doppelt so alt zu sein wie irgendein anderer Mann. Keef und Kef, Zwillinge und wie Maron Angehörige von Veritas’ persönlicher Garde, begleiteten ihn ebenfalls. Burrich, der Stallmeister von Bocksburg, schloß sich dem Trupp aus freiem Willen an. Als man Einwände erhob, weil er Bocksburg verlassen wollte, rechtfertigte er sich damit, daß er sein Amt einem fähigen Stellvertreter übergeben habe, und überdies brauche die Reisegesellschaft jemanden, der sich auf Tiere verstand und fähig war, sie mitten im Winter wohlbehalten durch die Berge zu bringen. Auch seine Fähigkeiten als Heiler und seine Erfahrung als des Königs Born für Prinz Chivalric führte er an, aber diese letzte Tatsache war nur wenigen bekannt.
Am Abend vor dem Aufbruch ließ Veritas mich in sein Arbeitszimmer kommen. »Du bist nicht einverstanden, habe ich recht? Du hältst es für ein törichtes Unterfangen?« empfing er mich.
Ich mußte lächeln. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. »Es stimmt, daß ich ernsthafte Bedenken habe«, gab ich vorsichtig zu.
»So wie ich. Aber was bleibt mir anderes übrig? Dieses Unternehmen bietet mir wenigstens die Möglichkeit, selbst etwas zu tun. Außer in diesem verdammten Turm zu sitzen und zu fühlen, wie ich langsam aber sicher vertrockne.«
Während der letzten Tage hatte er mit akribischer Sorgfalt eine Kopie von Kettrickens Landkarte angefertigt. Ich schaute zu, wie er sie zusammenrollte und in einer Lederhülse verstaute. Die Verwandlung, die er in der vergangenen Woche durchgemacht hatte, war erstaunlich. Sein Haar war immer noch grau, sein Körper immer noch hager, die Muskeln nach Monaten des Stillsitzens geschwunden, doch er bewegte sich mit neuem Schwung, und seit seine Abreise feststand, waren er und Kettricken jeden Abend in der großen Halle erschienen. Es war eine Freude gewesen, ihn mit gesundem Appetit essen zu sehen, und daß er wie früher bei einem Glas Wein verweilte, während Samten oder ein anderer Sänger die Anwesenden unterhielt. Außerdem herrschte zwischen ihm und Kettricken nun eine warme Vertrautheit. Bei Tisch ließ sie den Blick kaum je vom Gesicht ihres Gemahls, und während die Musikanten aufspielten, ruhten ihre Finger auf seinem Unterarm. Auch wenn ich mich noch so gründlich abschirmte, nahm ich allzu deutlich wahr, wie sehr sie ihre Nächte genossen. Ich hatte versucht, mich vor ihrer Leidenschaft in Mollys Arme zu flüchten, aber das trug mir Schuldgefühle ein. Molly war glücklich über mein neuerwachtes Verlangen. Wie würde ihr zumute sein, wenn sie wüßte, daß nicht sie allein es war, die meine Lust entfachte?
Die Gabe. Man hatte mich vor ihrer Macht und ihren Fallstricken gewarnt, davor, wie sie den Willen eines Menschen unterhöhlte und ihn zu ihrem Sklaven machte. Dies aber war eine Gefahr, von der niemand gesprochen hatte. In einer Hinsicht wartete ich darauf, daß Veritas die Burg verließ, damit ich meine Seele wieder für mich allein haben konnte.
»Was Ihr in Eurem Turm leistet, ist nicht weniger wert als das, was die Soldaten und Seeleute tun. Nur verstehen die Menschen nicht, wie sehr Ihr Euch für sie verzehrt…«
»Was du sehr gut nachfühlen kannst. Wir sind uns nahe gekommen in diesem Sommer, Junge. Näher, als ich es je für möglich gehalten hätte. Näher, als irgendein Mann mir gewesen ist, seit dein Vater starb.«
Näher sogar, als Ihr ahnt, mein Prinz. Aber das sprach ich nicht aus. »Ja, so ist es.«
»Ich habe vor, dich um einen Gefallen zu bitten. Zwei, genaugenommen.«
»Ihr wißt, daß ich Euch nichts verweigern werde.«
»Niemals so voreilig sein, Fitz. Der erste Gefallen ist, daß du meiner Gemahlin zur Seite stehst. Sie hat einiges dazugelernt, was die Verhältnisse hier auf der Burg angeht, aber sie ist immer noch viel zu vertrauensselig. Beschütze sie bis zu meiner Wiederkehr.«
»Das hätte ich auch getan, ohne daß Ihr mich darum bittet.«
»Und der zweite…« Er atmete tief ein und aus. »Ich möchte versuchen hierzubleiben. In deinem Kopf. Solange wie möglich.«
»Hoheit.« Ich zögerte. Er hatte
Weitere Kostenlose Bücher