Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Tageszimmer mit Wallace zu reden, während wir anderen hinausgingen. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ob Chade mir wohl erlauben würde, Wallace zu töten. Edel aus dem Weg zu schaffen hatte er mir strikt untersagt, auch hatte ich meinem König versprochen, ihn unbehelligt zu lassen. Doch Wallace genoß keine derartige Immunität.
Draußen im Flur fand Veritas Zeit, mir zu danken, und ich fragte, weshalb er gewollt hatte, daß ich bei dieser Unterredung dabei war.
»Du bist ein Augen- und Ohrenzeuge«, sagte er bedeutungsvoll. »Bei etwas leibhaftig anwesend zu sein ist etwas völlig anderes, als später davon zu hören. Du sollst alle Worte, die gesprochen wurden, im Gedächtnis behalten, damit sie nicht verloren gehen.« Da wußte ich, daß in dieser Nacht mit einem Ruf von Chade zu rechnen war.
Doch ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, Molly zu besuchen. Den König wieder als König gesehen zu haben, erfüllte mich mit neuer Hoffnung. Ich nahm mir vor, nur kurz zu bleiben, um mit ihr zu reden, sie wissen zu lassen, daß ich zu schätzen wußte, was sie um unseretwillen auf sich nahm. Vor der frühen Morgenstunde, Chades gewöhnliche Zeit, würde ich wieder in meinem Zimmer sein.
Ich klopfte vorsichtig an, und Molly öffnete. Sie mußte gesehen haben, wie erregt ich war, denn sie kam sofort in meine Arme, ohne Zögern oder Fragen. Ich streichelte über ihr schimmerndes Haar, ich schaute ihr in die Augen. Die Leidenschaft, die mich plötzlich überkam, glich einer Frühlingsflut, die durch ein Bachbett braust und das Strandgut des Winters hinwegspült. Meine Absicht, nur zu reden, war vergessen, Molly stieß einen überraschten Laut aus, als ich sie heftig in die Arme zog, dann ergab sie sich mir.
Es schien Monate, nicht Tage her zu sein, daß wir uns zum letztenmal geliebt hatten. Als sie mich hungrig küßte, fühlte ich mich plötzlich befangen, gehemmt. Weshalb sollte sie mich begehren? Sie war so jung, so schön. Vermessen zu glauben, sie könnte jemanden lieben, der so verbraucht, so ausgebrannt war wie ich, doch sie zerstreute all meine Zweifel und zog mich auf sich nieder, und als ich in ihr versank, erkannte ich endlich die Wahrheit der Liebe in ihren blauen Augen. Ich war beglückt von der Leidenschaftlichkeit, mit der sie mich empfing und in ihre starken weißen Arme schloß. Später erinnerte ich mich an auf einem Kissen golden ausgebreitetes Haar und den Duft von Bergbalsam auf ihrer Haut, sogar daran, wie sie den Kopf zurückbeugte und mit kehligem Stöhnen ihrer Lust Ausdruck gab.
Nachher flüsterte Molly staunend, so hätte sie mich noch nie erlebt. Ihr Kopf lag auf meiner Brust. Ich schwieg und streichelte das dunkle Haar, das immer nach ihren Kräutern duftete, Thymian und Lavendel. Mir war elend zumute. Ich wußte, ich hatte meine Gedanken gut abgeschirmt, wie es mir bei den Treffen mit Molly zur zweiten Natur geworden war.
Doch Veritas hatte seine eigenen Lehren nicht befolgt. Blieb nur zu hoffen, daß ich der einzige unfreiwillige Lauscher gewesen war. Das vorausgesetzt, bestand möglicherweise kein Grund zur Befürchtung, solange ich Stillschweigen darüber bewahrte. Solange es mir gelang, die Süße von Kettrickens Lippen zu vergessen und die Weichheit ihrer weißen, weißen Haut.
KAPITEL 19
BOTSCHAFTEN
König-zur-Rechten Veritas verließ Bocksburg zu Beginn des dritten Winters der Heimsuchung durch die Roten Schiffe. Mit sich nahm er eine kleine Gruppe handverlesener Gefolgsleute, die ihn auf seiner Queste begleiten sollten, dazu seine persönliche Leibgarde, die den Auftrag hatte, in Jhaampe, der Hauptstadt des Bergreichs, seine Rückkehr abzuwarten. Er argumentierte, je weniger Leute, desto weniger Ausrüstung; immerhin bedingte eine Reise durchs Gebirge zu dieser Jahreszeit, daß sämtliche Verpflegung sowie das Futter für die Tiere mitgeführt werden mußten. Davon abgesehen, wollte er nicht den Eindruck einer militärischen Expedition erwecken. In seine tatsächliche Absicht waren außer seinen Reisegefährten nur wenige eingeweiht. Vorgeblich begab er sich in das Bergreich, um mit dem Vater seiner Gemahlin, König Eyod, über mögliche Unterstützung gegen die Roten Korsaren zu verhandeln.
Von denen, die ihn begleiteten, sind einige es wert, erwähnt zu werden. Hod, Waffenmeisterin von Bocksburg, gehörte zu den ersten, die er auswählte. Ihr taktisches Genie wurde von keinem im Reich übertroffen, und ihr Geschick im Umgang mit Waffen war immer noch
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