Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
einen Besuch abstatte, sehe ich, was Wallaces Räucherwerk und Trünke ihm antun. Ich möchte Wallace töten und meinen König aus seinem Dämmerzustand aufwecken. Und dann das Übel mit der Wurzel ausreißen, also den Lieferanten der Gifte unschädlich machen.«
»Dann willst du mich töten?«
Als hätte man mir einen Eimer kaltes Wasser übergeschüttet. »Von dir bekommt Wallace die Mittel, die er dem König verabreicht?« Ich mußte ihn falsch verstanden haben.
Er nickte bedächtig. »Einige davon. Wahrscheinlich diejenigen, gegen die du am meisten einzuwenden hast.«
Mein Herz wurde zu einem kalten Stein in meiner Brust. »Aber Chade, warum?«
Mit zusammengepreßten Lippen schaute er mich an. »Eines Königs Geheimnisse gehören nur dem König«, beschied er mich nach einer Minute unbehaglichen Schweigens. »Ich habe nicht das Recht, sie weiterzugeben, selbst wenn ich überzeugt wäre, daß sie bei dem Empfänger gut aufgehoben sind. Doch wenn du nur deinen Verstand benutzen würdest, wie ich es dich gelehrt habe, könntest du dir all deine Fragen selbst beantworten.«
Ich drehte mich zur Seite und stocherte im Feuer hinter mir. »Chade, ich bin so müde. Zu müde für Ratespiele. Kannst du mir nicht einfach sagen, was ich wissen möchte?«
»Natürlich könnte ich das, nur käme ich dadurch in Konflikt mit dem Versprechen, das ich meinem König gegeben habe. Was ich tue, ist schlimm genug.«
»Du flüchtest dich in Haarspaltereien!«
»Mag sein, aber das ist meine Sache«, antwortete er liebenswürdig.
Seine Gelassenheit reizte mich. Ich schüttelte heftig den Kopf und beschloß, das Thema zu wechseln, bevor wir uns entzweiten. »Weshalb hast du mich heute nacht gerufen?« fragte ich knapp.
Ein Schatten flog über sein ruhiges Gesicht. »Vielleicht nur deiner Gesellschaft wegen. Vielleicht nur, um zu verhindern, daß du etwas Unvernünftiges tust, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ich bin mir bewußt, daß vieles von dem, was zur Zeit in Bocksburg geschieht, dich zutiefst beunruhigt. Sei versichert, ich teile deine Befürchtungen. Doch vorläufig bleibt uns nichts anderes übrig, als auf dem vorgezeichneten Weg weiterzugehen. Vertrauensvoll. Du glaubst doch bestimmt, daß Veritas vor dem Frühling zurückkehrt und die Zügel wieder in die Hand nimmt.«
»Ich weiß nicht«, gestand ich widerwillig. »Meiner Meinung nach ist seine Reise ein sinnloses Unterfangen. Er hätte hierbleiben und mit seinem ursprünglichen Plan weitermachen sollen. Bis er wiederkommt, hat Edel womöglich sein halbes Königreich verschachert oder den Wölfen zum Fraß vorgeworfen.«
Chade blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Sein Königreich ist immer noch seines Vaters Königreich, erinnerst du dich? Vielleicht traut er ihm zu, es vor Schaden zu bewahren.«
»Ich glaube nicht, daß König Listenreich auch nur imstande ist, sich selbst vor Schaden zu bewahren. Hast du ihn kürzlich gesehen?«
Chades Lippen wurden schmal. »Ja. Ich sehe ihn, wenn kein anderer ihn sieht. Glaub mir, er ist nicht der altersschwache Tattergreis, für den du ihn zu halten scheinst.«
Ich bewegte langsam den Kopf von einer Seite zur anderen. »Wenn du ihn heute abend gesehen hättest, Chade, würdest du meine Sorge teilen.«
»Weshalb bist du so überzeugt, daß ich ihn nicht gesehen habe?« Chade wurde ärgerlich. Es schien heute abend ein Fluch zu sein, immer das Falsche zu sagen. Wahrscheinlich war es besser, erst einmal zu schweigen. Ich nahm einen Schluck Wein und schaute ins Feuer.
»Sind die Gerüchte über die Nahen Inseln wahr?« erkundigte ich mich schließlich, als der böse Geist aus der Atmosphäre gewichen zu sein schien.
Chade seufzte und rieb sich die Augen. »Wie alle Gerüchte enthält auch dieses ein Körnchen Wahrheit. Es könnte stimmen, daß die Korsaren sich dort einen Stützpunkt geschaffen haben. Genaues wissen wir nicht. Keinesfalls haben wir ihnen die Nahen Inseln überlassen. Mit einer Basis fast in Steinwurfweite unserer Küste, könnten sie ihre Raubzüge sommers wie winters fortführen, wie du schon bemerkt hast.«
»Prinz Edel scheint zu glauben, daß wir uns von ihnen loskaufen könnten. Daß vielleicht diese Inseln und ein Stück von Bearns alles sind, worauf sie es abgesehen haben.« Es war nicht ganz einfach, doch ich bemühte mich, in meinem Ton nicht anklingen zu lassen, was ich von Edel und seinen Vermutungen hielt.
»Viele Menschen hoffen, wenn sie etwas sagen, daß es auch
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