Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
nächste Zeit konnten wir uns über schlechtes Wetter freuen. Jeder Tag, an dem ich beim Erwachen den Wind heulen und Regen prasseln hörte, war ein kostbarer Tag. Im übrigen war ich bemüht, keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, Edel aus dem Weg zu gehen, selbst wenn es bedeutete, sämtliche Mahlzeiten in der Wachstube einzunehmen, und ich verließ jeden Raum, sofern die Gefahr bestand, Justin und Serene zu begegnen. Auch Will war von seinem Posten im Roten Turm nach Bocksburg zurückgekehrt. Ein-, zweimal sah ich ihn in Gesellschaft seiner beiden Konsorten. Häufiger traf man ihn in der Halle bei Tisch, und immer verliehen ihm die halbgesenkten, schweren Lider einen Anschein von Schläfrigkeit. Seine Abneigung gegen mich war nicht mit Serenes und Justins glühendem Haß zu vergleichen, trotzdem mied ich auch ihn. Ich redete mir ein, es wäre klug, doch insgeheim fürchtete ich, ein Feigling zu sein. So oft wie möglich, machte ich dem König meine Aufwartung. Es war nicht oft genug.
Eines Morgens wurde ich von einem Hämmern an der Tür aus dem Schlaf gerissen und von einer Stimme, die meinen Namen rief. Ich taumelte aus dem Bett und riß die Tür auf. Ein kreidebleicher Stallbursche stand zitternd auf der Schwelle. »Flink sagt, Ihr sollt zu den Stallungen kommen. Sofort!«
Er wartete nicht auf meine Antwort, sondern stob davon, als wären sieben Sorten Dämonen hinter ihm her.
Ich warf die getragenen Kleider über. Wenigstens kurz das Gesicht in die Waschschüssel zu tauchen oder mir das Haar ordentlich zurückzubinden – der Gedanke kam mir auf halbem Weg die Treppe hinunter. Als ich über den Hof rannte, hörte ich schon die streitend erhobenen Stimmen. Flink hätte mich nicht rufen lassen, nur weil ein paar Stallburschen sich in die Haare geraten waren, aber ich konnte mir auch keinen anderen Grund vorstellen. Ich stieß das Tor auf, dann drängte ich mich zwischen den Zuschauern hindurch, um endlich zu sehen, was denn nun so wichtig war.
Es war Burrich. Reisemüde und staubig, und er brüllte nicht mehr. Vor ihm stand Flink, blaß, aber unerschrocken. »Mir blieb keine andere Wahl«, antwortete er mit fester Stimme auf etwas, das Burrich gesagt hatte. »Du hättest dasselbe tun müssen.«
Burrichs Gesicht sah verwüstet aus. Seine Augen waren stumpf, leer. »Ich weiß«, sagte er nach kurzem Schweigen. »Ich weiß.« Er drehte sich um und schaute mich an. »Fitz. Meine Pferde sind fort.« Er schwankte leicht.
»Flink hat keine Schuld«, sagte ich ruhig, dann fragte ich: »Wo ist Prinz Veritas?«
Zwischen seinen Brauen erschien eine tiefe Falte. »Man hat mich nicht erwartet?« Er sah mich eigenartig an. »Nachrichten wurden vorausgeschickt. Habt ihr sie nicht erhalten?«
»Wir haben nichts gehört. Was ist geschehen? Weshalb kommst du zurück?«
Er ließ den Blick über die Reihe der gaffenden Stallburschen gleiten, und etwas von dem Burrich, den ich kannte, zeigte sich wieder in seinen Augen. »Wenn man hier noch nichts gehört hat, dann eignet sich das, was ich zu sagen habe, nicht für unbefugte Ohren. Ich muß sofort zum König und ihm Bericht erstatten.« Er richtete sich hoch auf, und seine Stimme fuhr wie ein Peitschenschlag über die Köpfe der nichts Böses ahnenden Knechte hinweg: »Habt ihr keine Arbeit? Ich bin gleich wieder hier, und dann werde ich mir ansehen, wie in meiner Abwesenheit gewirtschaftet wurde!«
Wie Nebel im Sonnenschein löste der Kreis sich auf. Burrich wandte sich noch einmal an Flink. »Würdest du dich um mein Pferd kümmern? Der arme Rötel hat sein Letztes geben müssen, jetzt soll er dafür belohnt werden. Behandle ihn gut.«
Flink nickte. »Selbstverständlich. Soll ich nach dem Medikus schicken? Er könnte hier auf dich warten, wenn du zurückkommst.«
Burrich schüttelte den Kopf. »Was man dafür tun kann, kann ich selber tun. Komm jetzt, Fitz. Gib mir deinen Arm.«
Erstaunt kam ich seiner Aufforderung nach, und Burrich stützte sich tatsächlich schwer auf mich. Zum erstenmal schaute ich an ihm herunter. Was ich für eine derbe Winterhose gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein dicker Verband um sein lahmes Bein. Er hinkte stark, und ich konnte die Erschöpfung in seinem Körper vibrieren fühlen. Sein Schweiß hatte den Geruch von Fieber und Schmerzen, die Kleider waren fleckig und zerrissen, Hände und Gesicht schmutzig. Nichts hätte dem Mann, den ich kannte, unähnlicher sein können. »Sag mir«, fragte ich auf dem Weg hinauf zum Palas, »lebt
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