Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Veritas noch?«
Er schenkte mir ein schattenhaftes Lächeln. »Du hältst es für möglich, daß unser Prinz tot ist, und ich lebe noch? Du beleidigst mich. Außerdem, benutze deinen Verstand. Du würdest es wissen, wenn er tot wäre. Oder verwundet.« Er musterte mich scharf. »Oder nicht?«
Kein Zweifel, wovon er sprach. Beschämt gab ich zu: »Unsere Verbindung ist nicht zuverlässig. Manche Dinge erreichen mich, andere bleiben undeutlich. Hiervon ahnte ich nichts. Was ist geschehen?«
Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Veritas sagte, er würde versuchen, durch dich eine Nachricht zu vermitteln. Wenn das nicht gelungen ist, soll der König der erste sein, der hört, was sich ereignet hat.«
Damit mußte ich mich zufriedengeben.
Ich dachte nicht daran, wie lange es her war, seit Burrich König Listenreich zum letzten Mal gesehen hatte. Vormittage waren nicht die beste Zeit für die Audienz, doch als ich Burrich darauf hinwies, gab er zur Antwort, er würde lieber zu einem ungünstigen Zeitpunkt Bericht erstatten, als die Informationen zurückzuhalten. Also klopften wir an und wurden zu meiner Überraschung ohne weiteres eingelassen; wie sich herausstellte, weil Freund Wallace nicht zugegen war.
Statt dessen begrüßte mich der Narr auf seine unnachahmliche Art: »Nanu, hast du dich mit dem Glimmkraut angefreundet und es gelüstet dich nach mehr?« Doch als er Burrichs ansichtig wurde, verschwand das spöttische Lächeln aus seinem Gesicht. Unsere Blicke trafen sich. »Der Prinz?«
»Burrich ist gekommen, um dem König zu berichten.«
»Ich will versuchen, ihn zu wecken. Obwohl, mit ihm verhält es sich jetzt so, daß es kaum den Unterschied macht, ob er wach ist oder schläft, wenn man mit ihm spricht. Denn wachend wie schlafend versteht er es nicht.«
Ich hatte geglaubt, mittlerweile gegen die Art des Narren gefeit zu sein, aber diesmal war ich doch erschüttert. Der Sarkasmus hatte einen falschen Ton, denn seine Stimme verriet zuviel Resignation. Burrich schaute mich beunruhigt an. Leise fragte er: »Was fehlt meinem König?«
Ich schüttelte den Kopf, er solle still sein, und versuchte ihn dazu zu bewegen, daß er sich hinsetzte.
»Ich stehe vor meinem König, bis er mir befiehlt, mich zu setzen«, sagte er steif.
»Du bist verletzt. Er wird es verstehen.«
»Er ist mein König. Soviel verstehe ich.«
Sollte er seinen Willen haben. Wir warteten eine Zeitlang und dann nochmals lange Zeit, bis endlich der Narr wieder erschien. »Es geht ihm nicht gut«, bereitete er uns vor. »Ich hatte Mühe, ihm begreiflich zu machen, wer gekommen ist, doch er sagt, er will Euch empfangen. Kommt.«
Ich führte Burrich, der sich wieder auf mich stützen wollte, in das stickige Halbdunkel des königlichen Schlafgemachs. Bei einem Seitenblick sah ich, wie er angewidert die Nase rümpfte. Beißender Qualm waberte in der Luft, gespeist von mehreren kleinen Räuchergefäßen. Der Narr hatte die Bettvorhänge zurückgezogen und klopfte und schüttelte die Kissen hinter Listenreichs Rücken, bis dieser ihm mit einer schwachen Handbewegung zur Seite winkte.
Ich betrachtete unseren Monarchen und fragte mich, wie ich so blind für die Anzeichen der Krankheit hatte sein können. Sie waren kaum zu übersehen. Die Auszehrung des Körpers, der säuerliche Schweißgeruch, die Gelbfärbung im Weiß des Auges – wenigstens das hätte mir auffallen müssen. Der besorgte Ausdruck in Burrichs Gesicht verriet mir, wie wenig Ähnlichkeit der ausgemergelte Greis in dem Bett mit dem König Listenreich hatte, an den er sich erinnerte. Doch er überwand seine Bestürzung sogleich und richtete sich hoch auf.
»Mein König, ich bin gekommen, um Bericht zu erstatten«, sagte er förmlich.
Listenreich zwinkerte einmal langsam. »Bericht erstatten«, murmelte er undeutlich. Ich war nicht sicher, ob es eine Aufforderung sein sollte oder ob er nur die Worte wiederholte. Burrich nahm es als Aufforderung. Er war so gründlich und präzise, wie er es immer von mir verlangt hatte. Ich stand neben ihm, und er stützte sich auf meine Schulter, während er von der Winterreise mit Prinz Veritas erzählte, auf dem Weg ins Bergreich. Er beschönigte nichts. Die Reise war hart gewesen. Trotz der Boten, die vor dem Aufbruch der Expedition ausgesandt worden waren, erfuhren sie unterwegs kaum Gastfreundschaft und Hilfe. Die Adligen, deren Herrensitze an ihrer Straße lagen, behaupteten, nicht vom Kommen des Prinzen unterrichtet worden zu sein. In
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