Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
entdeckte aber nur ein Mädchen mit einem Eimer in der Hand, das mich furchtsam anstarrte. Die Sonne glänzte auf ihrem roten Haar. Ich stand auf und grinste und hob grüßend die Axt, aber sie huschte davon wie ein verängstigtes Kaninchen und verschwand im Gewirr der Straßen. Ich reckte mich, dann schlug ich den Weg zu der Stelle ein, wo Kettrickens Zelt gestanden hatte. Beim Gehen tauchten die Bilder der wölfischen Jagd in der vergangenen Nacht aus meinem Gedächtnis auf. Die Erinnerungen waren zu deutlich, zu rot und schwarz, und ich verbannte sie in den Hintergrund meines Bewußtseins. War es das, was Burrich mit seiner Warnung gemeint hatte?
Selbst am hellen Tag fiel es schwer, alles zu begreifen, was sich ereignet hatte. Rings um die geschwärzten Überreste des Zeltes war die gefrorene Erde zu blutigem Morast zertrampelt. Hier war das Kampfgewühl am dichtesten gewesen. Hier hatten die meisten der Feinde ihr Leben gelassen. Einige der Toten hatte man weggeschleift und auf einen Haufen geworfen, andere lagen noch da, wo sie gefallen waren. Ich vermied es, sie anzusehen. Es ist eine Sache, aus Zorn und Angst zu töten. Eine andere Sache ist es, sich im kalten grauen Morgenlicht sein Werk zu betrachten.
Daß die Outislander versucht hatten, unseren Belagerungsring zu sprengen, war verständlich. Wenigstens ein Teil von ihnen hätte sich wahrscheinlich zu den Schiffen retten und ein oder zwei davon zurückerobern können. Daß sie statt dessen, wie von einem gemeinsamen bösen Willen beseelt, ihren Angriff gegen das Zelt der Königin richteten, war mir ein Rätsel. Nachdem ihnen der Durchbruch gelungen war, weshalb hatten sie nicht alles darangesetzt, ihre Chance zu nutzen und in die Weite des Meeres zu entkommen?
»Vielleicht«, überlegte Burrich und biß die Zähne zusammen, als ich sein geschwollenes Knie betastete, »hatten sie gar nicht den Wunsch zu entkommen. Es ist die Art der Outislander zu beschließen, daß sie sterben wollen, und dann zu versuchen, vor ihrem Tod noch soviel Unheil anzurichten wie möglich. Deshalb haben sie ihren Schlag hier geführt, in der Hoffnung, unsere Königin zu töten.«
Ich hatte Burrich entdeckt, als er über das Schlachtfeld humpelte. Er gab nicht zu, daß er nach meinem Leichnam gesucht hatte. Seine Erleichterung bei meinem Anblick war Beweis genug dafür.
»Woher sollten sie wissen, daß es das Zelt der Königin war?« wandte ich ein. »Wir hatten keine Banner aufgerichtet, kein Herold forderte sie auf, sich der zukünftigen Königin der Sechs Provinzen zu ergeben. Woher sollten sie wissen, daß sie hier war? – So, fertig. Ist das besser?« Ich überprüfte den Sitz der Bandage.
»Es ist trocken, und es ist sauber, und der feste Wickel scheint den Schmerz zu lindern. Das wird genügen müssen. Ich vermute, die Hitze und die Schwellung werden jedesmal auftreten, wenn ich das Knie zu sehr belaste.« Sein Ton war so leidenschaftslos, als sprächen wir über ein Pferd mit entzündetem Sprunggelenk. »Wenigstens ist die Wunde nicht wieder aufgebrochen. – Sie wurden alle vom Zelt der Königin angezogen, nicht wahr?«
»Wie Bienen vom Honig«, bestätigte ich müde. »Die Königin ist in der Burg?«
»Natürlich. Mit allen anderen. Du hättest den Jubel hören sollen, als sie uns die Tore öffneten. Königin Kettricken schritt hindurch, die Röcke immer noch hochgeschürzt, barfuß, das blutige Schwert in der Faust. Herzog Kelvar fiel auf die Knie und küßte ihre Hand, aber Lady Grazia schaute sie an und sagte: ›Ach du liebe Güte, ich werde Euch sofort ein Bad richten lassen‹.«
»Na, wenn das nicht der Stoff ist, aus dem Heldengesänge gemacht werden«, sagte ich, und wir lachten. »Aber es sind nicht alle Leute oben in der Burg. Ich habe eben erst ein Mädchen gesehen, das am Brunnen Wasser holen wollte, unten im Ort.«
»Nun, oben in der Burg wird gefeiert, aber ich glaube, diesem oder jenem ist danach nicht zumute. Fuchsrot hat sich geirrt. Die Bürger von Guthaven haben ihre Stadt nicht kampflos aufgegeben. Viele sind gestorben, bevor die übrigen sich in die Burg flüchteten.«
»Kommt dir daran etwas merkwürdig vor?«
»Daß Handwerker, Fischer und Kaufleute sich ihrer Haut wehren? Nein. Es ist…«
»Hast du nicht den Eindruck, daß zu viele Outislander hier waren? Mehr als die Besatzung von fünf Schiffen?«
Burrich blieb stehen. Er warf einen Blick zurück auf die verstreuten Leichen. »Vielleicht hatten diese zwei anderen Schiffe sie hier
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