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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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geschenkt.«
    In diesem Moment gelang es dem Eichelhäher, den Bolzen herauszuziehen. Die Käfigtür schwang auf, und er hüpfte auf den Rand der Öffnung. Wie absichtslos trat ich zwischen den Mann und den Käfig. Die Tür ist offen, ermunterte ich die Krähe und hörte, wie sie unschlüssig die zerrupften Federn schüttelte. Ich griff nach dem Beutel an meinem Gürtel und wog ihn nachdenklich in der Hand. »Ein Silberstück? Ich habe kein Silberstück. Aber das macht nichts. Mir ist gerade eingefallen, daß ich gar nichts habe, um den Wolf zu transportieren. Es wäre eine Dummheit, ihn zu kaufen.«
    Die Eichelhäher flogen davon. Der Mann stieß einen Fluch aus und wollte an mir vorbei, aber ich brachte es fertig, ihm in den Weg zu geraten, so daß wir beide hinfielen. Die Krähe saß in der Türöffnung. Ich schüttelte den Händler ab, sprang auf und stieß wie aus Versehen gegen den Käfig, um den Vogel hinauszuscheuchen. Er breitete die zerschlissenen Flügel aus und flatterte schwerfällig auf das Dach eines nahegelegenen Gasthauses. Als der Händler sich vom Boden aufraffte, reckte sie den Hals, spähte zu ihm herunter und krächzte höhnisch.
    »Meine beste Ware! Der Verlust!« fing er an zu lamentieren, aber ich zeigte ihm einen Riß in meinem Umhang. »Mein Herr wird zornig sein!« rief ich aus und funkelte ihn ebenso empört an wie er mich. Eine Weile versuchten wir uns gegenseitig niederzustarren, dann warf er einen Blick auf die Krähe, die aufgeplustert im Windschatten eines Schornsteins Schutz gesucht hatte. Den Vogel würde er nie wieder einfangen können. Hinter mir fing der junge Wolf an zu winseln.
    »Neun Kupferlinge!« stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Er wirkte verzweifelt. Wahrscheinlich hatte er an diesem Tag noch nichts verkauft.
    »Ich habe dir gesagt, ich weiß nicht, wie ich ihn wegschaffen soll!« Unter dem Rand der Kapuze hervor schaute ich zum Himmel. Die ersten dicken nassen Flocken schwebten herab. Die Witterung war scheußlich, zu warm für klirrenden Frost, aber nicht warm genug für Tauwetter. Bei Tagesanbruch würden die Straßen von einer glänzenden Eisschicht überzogen sein. Ich wandte mich zum Gehen.
    »Dann gib mir deine sechs verdammten Kupferlinge!« brüllte der Händler wutschnaubend.
    Ich klaubte die Geldstücke eines nach dem anderen aus dem Beutel. »Und werdet Ihr ihn auf Eurem Karren zu mir nach Hause bringen?«
    »Trag ihn selbst, Junge. Du hast mich bestohlen, du weißt es.«
    Damit stellte er den Käfig mit den Tauben auf seinen Karren, der leere Krähenkäfig folgte. Ohne meinen aufgebrachten Protesten Gehör zu schenken, kletterte er auf den Bock und schüttelte die Zügel des Ponys. Der alte Gaul setzte sich in Bewegung, und knarrend verschwand das Gefährt in dem dichter werdenden Schneetreiben und der Abenddämmerung. Der Marktplatz lag verlassen da, nur noch wenige Menschen waren unterwegs. Vermummt, mit hochgeschlagenem Kragen, eilten sie durch den scharfen Wind und die wirbelnden Flocken nach Hause.
    »Was fange ich jetzt mit dir an?« fragte ich den Wolf.
    Laß mich frei.
    Nicht gut. Nicht sicher. Wenn ich einen Wolf hier freiließ, mitten in der Stadt, war er so gut wie tot. Zu viele Hunde, die sich zusammenrotten würden, um ihn zu hetzen; zu viele Männer, die keine Skrupel hätten, ihn wegen seines Fells zu erschießen. Oder weil er ein Wolf war. Ich bückte mich, um den Käfig anzuheben und zu prüfen, ob ich ihn tragen konnte. Er ging mit gefletschten Zähnen auf mich los.
    Zurück! Seine Wut strömte in meinen Kopf. Es war ansteckend.
    Ich werde dich töten. Du bist dasselbe, was er war, ein Mensch. Du willst mich in diesem Käfig gefangenhalten. Ich werde dich töten. Ich werde dich zerfleischen und mich in deinen Gedärmen wälzen.
    Du gehst ZURÜCK! Ich stemmte gegen ihn, hart, und er kauerte sich nieder, verwirrt und verängstigt.
    Ich hob den Käfig an. Er war schwer, und die erschrockenen Bewegungen des Tieres machten ihn nicht leichter. Doch ich konnte ihn tragen. Nicht sehr weit und nicht für lange, aber wenn ich zwischendurch Pausen einlegte, sollte es mir gelingen, ihn aus der Stadt zu schaffen. Ausgewachsen würde der Wolf vermutlich annähernd mein Gewicht haben, aber noch war er knochig und jung. Jünger, als ich auf den ersten Blick angenommen hatte.
    Entschlossen nahm ich den Käfig auf die Arme und drückte ihn an die Brust. Falls mein Schützling sich jetzt zu einem Angriff entschloß, war ich ziemlich hilflos,

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