Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
doch er winselte nur und drückte sich in die entfernteste Ecke. Durch das Ungleichgewicht ließ der Kasten sich noch schlechter tragen.
Wie bist du in Gefangenschaft geraten?
Ich hasse dich.
Wie bist du in Gefangenschaft geraten?
Erinnerungen an eine Höhle und zwei Brüder. Eine Mutter, die ihm Fisch brachte. Dann Blut und Qualm und seine Brüder, und seine Mutter wurden zu übelriechenden Fellen für den Stiefelmann. Er wurde nach draußen gezerrt und in einen Käfig gesteckt, der nach Frettchen stank. Der Mann warf ihm Aas vor. Das hatte ihn am Leben erhalten. Und der Haß. Er nährte sich von Haß.
Du mußt ein Nachzügler gewesen sein, wenn deine Mutter dich mit Fisch gefüttert hat.
Diesmal antwortete mir stumme Gekränktheit.
Alle Gassen führten bergauf, der Schnee wurde pappig. Meine abgelaufenen Schuhe rutschten auf den vereisten Pflastersteinen, und von der Last taten mir die Schultern weh. Ich fürchtete, die Anstrengung könnte einen Schwächeanfall auslösen. Immer häufiger mußte ich stehenbleiben, um zu verschnaufen, und während ich die Arme ausschüttelte und mich bemühte, wieder zu Atem zu kommen, weigerte ich mich strikt, über diese jüngste Torheit nachzudenken, die ich mir geleistet hatte. Nein, ich würde mich weder mit diesem Wolf verbinden noch mit irgendeinem anderen Tier. Ich hatte es mir geschworen, hoch und heilig. Sobald ich diesen Welpen halbwegs aufgepäppelt hatte, wollte ich ihn irgendwo freilassen. Burrich brauchte nie davon zu erfahren, und mir blieb es erspart, seine Verachtung zu ertragen. Wieder hob ich den Käfig hoch. Wer hätte gedacht, daß ein räudiger, halbverhungerter Welpe so schwer sein konnte.
Nicht räudig. Beleidigt. Flöhe. Der Käfig ist voller Flöhe.
Also war das Jucken an meiner Brust keine Einbildung. Wunderbar. Ich würde heute abend noch ein Bad nehmen müssen, es sei denn, ich legte Wert darauf, für den Rest des Winters mein Bett mit den innigsten Freunden von Hund und Mensch zu teilen.
Ich hatte den Stadtrand erreicht. Hier standen nur noch vereinzelte Häuser, und der Weg führte steiler bergan. Viel steiler. Zum vierten- oder fünftenmal setzte ich den Käfig ab. Der Jungwolf darin sah klein und mitleiderregend aus, ohne die Wut und den Haß, die ihm Kraft spendeten. Er war hungrig. Ich faßte einen Entschluß.
Ich werde dich herausnehmen und dich tragen.
Keine Reaktion. Er ließ mich nicht aus den Augen, während ich den Riegel zurückschob und die Tür aufmachte. Ich hatte gedacht, er würde an mir vorbeihuschen und sich davonmachen, doch er rührte sich nicht von der Stelle. Ich streckte die Hand in den Käfig und packte ihn am Nackenfell. Wie ein Blitz fuhr er auf mich los, warf sich gegen meine Brust und schnappte nach meiner Kehle. Im letzten Moment konnte ich den Arm hochreißen und schob ihn quer zwischen seine aufgesperrten Kiefer. Seine Hinterbeine scharrten über meinen Leib, aber das gefütterte Wams bewahrte mich vor Schaden. Im nächsten Augenblick wälzten wir uns durch den Schnee, beide knurrend und röchelnd wie tollwütige Raubtiere. Mir kam mein größeres Gewicht zugute, die bessere Hebelwirkung und jahrelange Erfahrung im freundschaftlichen Raufen mit Hunden. Ich warf ihn auf den Rücken und drückte ihn nieder, während er sich in meinem Griff wand und mir Schimpfnamen gab, für die Menschen keine Worte haben. Als seine Kräfte erlahmten, umklammerte ich seine Kehle, beugte mich über ihn und starrte ihm in die Augen. Das war Körpersprache, die er verstand. Zur Sicherheit fügte ich eine Gedankenbotschaft hinzu. Ich bin der Rudelführer. Du bist der Jungwolf. Du WIRST mir gehorchen.
Er wandte rasch den Blick ab, doch ich hielt ihn unerbittlich fest, bis er wieder zu mir aufsah und ich die Veränderung in seinen Augen erkannte. Ich ließ ihn los, erhob mich und trat zurück. Er lag still. Steh auf. Komm her. Er rollte sich auf den Bauch und näherte sich kriechend, die Rute zwischen die Hinterbeine geklemmt. Bei mir angelangt, ließ er sich auf die Seite fallen und zeigte mir seinen Bauch. Er winselte leise.
Nach einer Weile ließ ich es genug sein. Schon gut. Es ging nur darum, daß wir uns verstehen. Ich habe nicht die Absicht, dir weh zu tun. Komm jetzt mit mir. Ich wollte seine Brust kraulen, doch bei der Berührung jaulte er auf. Sein Schmerz schoß durch meinen Körper.
Wo bist du verletzt?
Ich sah den messingbeschlagenen Knüppel des Stiefelmannes vor mir. Überall.
So behutsam wie möglich betastete ich
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