Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
zusammengerollt wie ein Eichhörnchen in seinem Koben. Das kalte, feuchte Wetter mußte Gift sein für ihre Gelenke, aber dagegen war ich machtlos. Drüben beim Feuer saßen Merle und Nik und unterhielten sich halblaut. Von Zeit zu Zeit wanderten ihre Finger leicht über die Harfensaiten, und die silbernen Töne verwoben sich mit ihrer gedämpften Stimme. Was sie erzählte, konnte ich nicht verstehen, aber sie brachte Nik einige Male zum Lachen.
Ich war fast eingeschlafen.
Mein Bruder?
Ein Ruck ging durch meinen ganzen Körper. Er war nahe.
Nachtauge?
Wer sonst? Belustigung. Oder hast du jetzt einen anderen Bruder?
Niemals! Nur dich, mein Freund. Wo bist du?
Wo ich bin? Draußen. Komm zu mir.
Ich stand eilig auf und wickelte mich in meinen Umhang. Der Mann, der an der Tür Wache hielt, runzelte die Stirn, doch er stellte keine Fragen. Ich trat in die Dunkelheit hinaus und ging langsam an den nebeneinander abgestellten Wagen vorbei. Es schneite nicht mehr, und der Wind hatte ein Stück sternenklaren Himmel freigeweht. Schnee versilberte die Zweige an jedem Strauch und Baum. Ich spürte nach Nachtauges Gegenwart, als plötzlich ein schweres Gewicht mit voller Wucht gegen meinen Rücken prallte, und ich vornüber zu Boden fiel. Ich hätte aufgeschrien, nur lag ich mit dem Gesicht im Schnee. Irgendwie brachte ich es fertig, mich herumzurollen, aber nur, damit ein übermütiger Wolf auf mir herumtrampeln konnte.
Woher hast du gewußt, wo du mich findest?
Woher weißt du, wo du kratzen mußt, wenn es juckt?
Ich begriff sofort, was er meinte. Auch wenn das Bewußtsein unseres Bundes manchmal von anderen Dingen in den Hintergrund gedrängt wurde, an ihn zu denken, ihn zu finden war so einfach, wie im Dunkeln meine Hände zusammenzulegen. Natürlich wußte ich immer, wo er war. Er war ein Teil von mir.
Du riechst nach einem Weibchen. Hast du eine neue Gefährtin genommen?
Nein. Selbstverständlich nicht.
Aber ihr teilt ein Lager?
Wir reisen gemeinsam, im Rudel. Es ist sicherer so.
Das weiß ich.
Eine Weile verharrten wir in einem Zustand der Ruhe von Geist und Körper, um nach der Zeit der Trennung die leibliche Gegenwart des anderen zu erfassen. Ich fühlte mich heil, vollständig. Mir war nicht bewußt gewesen, wie sehr ich mich um ihn gesorgt hatte, bis sein Anblick mir eine Last von der Seele nahm. Ich spürte seine widerstrebende Zustimmung. Er wußte, ich hatte allein Strapazen und Gefahren getrotzt, von denen er geglaubt hatte, daß ich sie nicht lebend überstehen könnte. Doch er hatte mich auch vermißt – meine Art zu denken, den Austausch von Ideen und Ansichten, der unter Wölfen nicht stattfand. »Bist du deshalb zu mir zurückgekommen?« fragte ich ihn.
Er stand auf und schüttelte sich vom Kopf bis zur Schwanzspitze. Es war Zeit, gab er ausweichend zur Antwort. Dann fügte er hinzu: Ich bin mit ihnen gelaufen. Sie haben mich in ihr Rudel aufgenommen. Wir haben gemeinsam gejagt, wir haben gemeinsam getötet, wir haben gemeinsam gefressen. Es war sehr gut.
Aber?
Ich wollte der Anführer sein. Er schaute über die Schulter zu mir her und ließ die Zunge aus dem Maul hängen. Ich bin daran gewöhnt, der Anführer zu sein, mußt du wissen.
Tatsächlich? Und sie haben dich nicht gelassen?
Schwarzer Wolf ist sehr groß. Und schnell. Ich bin stärker als er, glaube ich, aber er kennt mehr Tricks. Es war genauso wie mit dir und Dem-wir-folgen.
Ich lachte, und er fuhr mit in spielerischer Drohung gefletschten Zähnen zu mir herum.
Ganz ruhig, sagte ich und wehrte ihn mit den flachen Händen ab. Nun gut, was ist passiert?
Nachtauge warf sich neben mir auf die Erde. Er ist immer noch der Anführer. Er hat immer noch das Weibchen und die Höhle. Er überlegte, und ich merkte, wie er mit der Vorstellung von Zukunft rang. Es könnte anders sein, ein anderes Mal.
»Das ist gut möglich.« Ich kraulte ihn liebevoll hinter dem Ohr, und er ließ sich voller Wonne auf die Seite fallen. »Wirst du eines Tages zu ihnen zurückkehren?«
Vor Behagen fiel es ihm schwer, sich auf meine Worte zu konzentrieren; deshalb hörte ich auf zu kraulen und wiederholte meine Frage. Nachtauge legte den Kopf zur Seite und betrachtete mich erheitert. Frag mich an dem Einestages, und ich werde dir antworten können.
Man sollte den Blick nicht zu weit nach vorn richten, stimmte ich ihm zu. Ich freue mich, dich wieder bei mir zu haben, auch wenn ich immer noch nicht begreife, weshalb du zu mir zurückgekommen bist. Du
Weitere Kostenlose Bücher