Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Galen daraus ein Werkzeug geformt hatte, ein Werkzeug für Edels Hand. Unwandelbare Treue zu Edel – das hatte Galen ihm eingebrannt, und diese Ergebenheit war untrennbar mit seiner Gabe verbunden. Burl besaß Ehrgeiz, und er liebte das verschwenderische Leben, zu dem seine Gabe ihm verhalf. An seinen Armen wölbten sich nicht länger die Muskeln seines Handwerks; statt dessen spannte sein Bauch den Stoff der Robe, und sein Kinn ruhte auf einer feisten Wamme. Er wirkte zehn Jahre älter als ich. Doch mochte er aussehen wie ein träger Sybarit, er würde seine Vorrechte gegen jeden verteidigen, der sie bedrohte – mit allen Mitteln.
Der Feldwebel erschien als erster. Gleich nach ihm traten seine Männer mit Merle ins Zelt. Sie ging aufrecht und stolz zwischen ihnen, trotz ihres zerschlagenen Gesichts und der geschwollenen Lippe. In eisiger Ruhe stand sie vor Burl und würdigte ihn keines Grußes. Vielleicht ahnte nur ich etwas von der Wut, die in ihr brodelte. Furcht war ihr nicht anzumerken.
Als sie neben mir stand, hob Burl den Kopf und musterte uns beide; dann streckte er die Hand aus und deutete mit dem Finger auf Merle. »Vagantin! Du bist dir bewußt, daß dieser Mann FitzChivalric ist, der widernatürliche Bastard.«
Merle antwortete nicht. Es war keine Frage.
»In Blauer See hat dir Will, Mitglied von Galens Kordiale und Vasall König Edels, eine reiche Belohnung in Gold geboten, für deine Hilfe bei der Ergreifung dieses Mannes. Du hast behauptet, nicht zu wissen, wo er sich befindet.« Er machte eine Pause, als wolle er ihr Gelegenheit geben, sich zu äußern. Sie schwieg auch jetzt. »Doch hier finden wir dich wieder, in seiner Gesellschaft.« Er holte tief Atem. »Und nun sagt er mir, daß du, indem du ihm hilfst, Veritas, dem unrechten König dienst. Und er droht mir mit Veritas’ Zorn. Sag mir, bevor ich ein Urteil fälle, stimmst du darin mit ihm überein? Oder spricht er nicht für dich?«
Wir wußten beide, daß er ihr eine goldene Brücke baute. Ich hoffte, daß sie vernünftig genug war, sie zu beschreiten. Sie schluckte und antwortete mit leiser, beherrschter Stimme: »Ich brauche niemanden, der für mich spricht. Ich bin auch keines Menschen Dienerin, und deshalb diene ich auch nicht FitzChivalric.« Sie verstummte, und mir fiel ein Stein vom Herzen. Dann aber straffte sie sich und fuhr fort: »Doch falls Veritas aus dem Hause Weitseher lebt, ist er der rechtmäßige König der Sechs Provinzen. Und ich zweifle nicht daran, daß alle, die sich gegen ihn wenden, seinen Zorn spüren werden – falls er zurückkehrt.«
Burl stieß seufzend die Luft durch die Nase und schüttelte betrübt den Kopf. Er gab einem seiner Männer ein Zeichen. »Du. Brich ihr einen Finger. Egal welchen.«
»Ich bin eine Vagantin!« protestierte Merle entsetzt. Sie starrte ihn ungläubig an, wie wir alle. Es war vorgekommen, daß ein Vagant wegen Hochverrats hingerichtet wurde. Einen Vaganten zu töten, das mochte angehen. Einen zu verletzen – nein.
»Hast du mich nicht verstanden?« fragte Burl den Soldaten, als dieser sich nicht rührte.
»Herr, sie ist eine Vagantin.« Die Miene des Bedauernswerten drückte ratlose Bestürzung aus. »Es bringt Unglück, einem Vaganten etwas anzutun.«
Burl wandte sich von ihm an seinen Feldwebel. »Du wirst dafür sorgen, daß dieser Mann fünf Peitschenhiebe erhält, bevor ich mich heute abend zurückziehe. Fünf, hörst du, und ich möchte die einzelnen Striemen auf seinem Rücken zählen können.«
»Wie Ihr befehlt«, sagte der Feldwebel matt. Burl richtete wieder den Blick auf den Soldaten. »Brich ihr einen Finger. Egal welchen.« Er wiederholte die gleichen Worte im genau dem gleichen Tonfall, als spräche er sie zum erstenmal.
Der Mann trat auf Merle zu, wie in einem Alptraum befangen. Er würde gehorchen, und Burl würde seinen Befehl nicht zurücknehmen.
»Ich werde dich töten«, versprach ich ihm.
Er lächelte erheitert. »Soldat, zwei Finger. Egal welche.« Der Feldwebel zog seinen Dolch und war mit einem raschen Schritt hinter mir. Er setzte mir die Klinge an den Hals und drückte mich auf die Knie nieder. Ich blickte zu Merle auf. Sie sah mich einmal kurz an, ihre Augen waren stumpf und leer, dann schaute sie wieder starr geradeaus. Ihre Hände waren wie meine auf den Rücken gefesselt. Sie stand da wie versteinert und wurde blasser und blasser, bis der Mann sie tatsächlich berührte. Als er ihre Handgelenke umfaßte, stieß sie einen kehligen Laut aus,
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