Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
nicht.
Was?
Ich liebe dich. Aber ich will nicht du sein.
Ich verharrte, wo ich war. Der kraftvolle, ruhige Schlag seines Herzens, das mühelos-geschmeidige Zusammenspiel seiner Muskeln, in tiefen Zügen am Kopf des Hasen vorbei die kalte Nachtluft einatmen. Das leichte Brennen der Rißwunde an seinem Maul, die sehnigen Beine, die den hageren Körper mit soviel federnder Anmut trugen.
Du willst nicht ich sein, Wandler. Nicht wirklich.
Ich war nicht überzeugt, daß er recht hatte. Durch seine Augen sah ich mich zwischen den Wurzeln des hohen Baums halb sitzen, halb liegen, zusammengerollt wie ein verlassener Welpe. Der Geruch meines Blutes hing schwer in der Luft. Dann blinzelte ich und schaute in die Schwärze des angewinkelten Ellbogens über meinem Gesicht. Langsam, mit zusammengebissenen Zähnen, hob ich den Kopf. Schmerz, in jeder Faser meines Körpers, ausgehend von dem unerschöpflichen Quell weißer Glut in meinem Rücken.
Ich roch Kaninchengekröse und Blut. Nachtauge stand neben mir, die Vorderpfoten auf den Kadaver gestemmt, während er ihm den Bauch aufriß. Iß, solange das Fleisch noch warm ist.
Ich weiß nicht, ob ich essen kann.
Soll ich es dir vorkauen?
Er meinte es ernst, aber noch schlimmer als rohes Fleisch zu essen war die Vorstellung, ausgewürgtes Fleisch zu mir nehmen zu müssen. Ich brachte mit einem schwachen Kopfschütteln dankende Ablehnung zum Ausdruck. Meine Finger waren fast taub, doch ich schaute ihnen zu, wie sie die kleine Leber ergriffen und an meinen Mund führten. Sie war warm und reich an Blut. Plötzlich wußte ich, daß Nachtauge recht hatte. Ich mußte essen, denn ich mußte leben. Er hatte den Hasen in Stücke gerissen. Ich nahm eins und biß in das dampfende Fleisch. Es war zäh, aber ich schlang es hinunter. Ohne mir dessen recht bewußt gewesen zu sein, hätte ich beinahe meine geschundene Hülle aufgegeben, um neben Nachtauge in diesen vor Kraft und Gesundheit strotzenden Wolfskörper zu schlüpfen. Einmal hatte ich es getan, mit seiner Zustimmung, aber durch diese Erfahrung waren wir beide klüger geworden. Wir konnten miteinander teilen, doch nicht einer der andere sein. Es bedeutete Verlust, nicht Gewinn.
Als ich mich vorsichtig aufrichtete, spürte ich das Walken meiner Muskeln an dem Fremdkörper in meinem Rücken und das bleierne Gewicht des Schafts. Wenn ich mir ausmalte, wie dieser Holzstab aus meinem Körper ragte, drehte sich mir vor Ekel der Magen um. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben. Zu meiner Verwunderung tauchte plötzlich aus den Tiefen meines Gedächtnisses eine Erinnerung an Burrich auf: Diese abwesende Ruhe in seiner Miene, wenn er nach dem Abnehmen des Verbandes das Knie bog und zuschaute, wie die Ränder der Wunde, die der Eberzahn ihm gerissen hatte, auseinanderklafften.
Langsam streckte ich die Hand nach hinten und ließ die Finger an meiner Wirbelsäule hinaufwandern. Bei jeder Bewegung bewegte sich auch der Pfeil in mir. Endlich stießen meine Fingerspitzen gegen das klebrige Holz des Schafts; schon diese leichte Berührung jagte einen warnenden Stich durch meine Brust. Unbeholfen schloß ich die Hand um das Holz, kniff die Augen zu und versuchte, daran zu ziehen. Auch ohne Schmerz wäre es schwierig gewesen, so aber drehte sich die ganze Welt um mich, und als sie wieder zum Stillstand kam, fand ich mich auf Händen und Knien wieder und rang mit aufgerissenem Mund nach Atem.
Soll ich es versuchen?
Ich schüttelte den Kopf, und sofort verschwamm alles vor meinen Augen. Nein. Wenn er den Pfeil herauszog, verlor ich die Besinnung und war nicht in der Lage, die wahrscheinlich starke Blutung zu stillen. Am besten, der Pfeil blieb stecken. Ich raffte meinen Mut zusammen. Kannst du ihn abbrechen?
Er kam dicht an mich heran. Ich fühlte seinen Atem an meinem Nacken. Dann legte er den Kopf zur Seite, um den Pfeilschaft mit den hinteren Backenzähnen fassen zu können. Es gab ein Knacken wie von einem Zweig unter der Schere des Gärtners und ein Aufbegehren gepeinigten Fleisches. Eine schwarze Woge spülte über mich hinweg, aber irgendwie brachte ich es fertig, nach hinten zu greifen und meinen blutgetränkten Umhang von dem Stumpf zu lösen. Vor Kälte und Schwäche zitternd, hüllte ich mich in den dicken Stoff und schloß die Augen.
Nein. Zünde erst ein Feuer an.
Ich hob die bleischweren Lider. Nahmen die Mühen denn gar kein Ende? Kraftlos scharrte ich alle Zweige und Zapfen in Reichweite auf einen Haufen. Nachtauge versuchte zu helfen
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