Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
könne sich irren oder etwas falsch machen. Chade war mein Lehrer. Chade las und studierte und beherrschte das gesamte alte Wissen. Doch man hatte ihn nie den Gebrauch der Gabe gelehrt. Da er wie ich ein Bastard war, hatte man ihn nie in der Gabe unterwiesen.
»FitzChivalric!« Kettrickens befehlender Ton riß mich aus meinen Gedanken.
»Ja. Soweit ich weiß, hat Veritas in den ersten Jahren des Krieges damit angefangen, als er der einzige Gabenkundige war, der zwischen uns und den Roten Schiffen stand. Ich glaube, er hatte bis dahin nie so intensiv seine Fähigkeiten genutzt, sie ausgenutzt bis zur Erschöpfung. Deshalb fing Chade an, ihm Elfenrinde zu geben. Zur Stärkung.«
Krähe schloß für einen Augenblick die Augen; dann schaute sie über meinen Kopf hinweg ins Leere. »Ungenutzt entfaltet sich die Gabe nicht«, sagte sie wie zu sich selbst. »Wird sie genutzt, beginnt sie zu wachsen und sich durchzusetzen, und man lernt fast instinktiv, auf wie viele Arten sie einem dienlich sein kann.« Ich nickte leicht zu ihren halblaut gesprochenen Worten. Plötzlich richtete sie den Blick ihrer wissenden alten Augen auf mein Gesicht. »Ihr seid höchstwahrscheinlich alle beide durch die Elfenrinde beschränkt. Veritas, ein erwachsener Mann, könnte sich erholt haben. Möglicherweise hat er in der Zeit der Enthaltsamkeit ein Wiedererstarken der Gabe erfahren – wie scheinbar auch du. Auf jeden Fall scheint er fähig gewesen zu sein, dem Einfluß der Straße zu widerstehen.« Sie seufzte. »Doch ich nehme an, diese anderen haben niemals Elfenrinde genommen, und ihr Potential und ihr Wissen um die Möglichkeiten der Anwendung der Gabe haben sich entwickelt und dein natürliches Talent überflügelt. Nun stehst du vor einer Wahl, Fitz, und nur du kannst sie treffen. Der Narr hat durch das Mittel nichts zu verlieren. Er besitzt die Gabe nicht, und Elfenrinde kann verhindern helfen, daß die Kordiale ihn wieder aufspürt. Aber du... Ich kann sie dir geben, und sie wird helfen, die Gabe in dir abzustumpfen. Ihnen wird es schwerfallen, dich zu erreichen, und für dich wird es schwerer hinauszugreifen. Möglicherweise bist du dadurch geschützt, aber du versündigst dich erneut an deinem Talent. Eine genügende Menge Elfenrinde vermag es unwiderruflich auszumerzen. Die Entscheidung liegt bei dir allein.«
Ich schaute auf meine Hände und dann zu dem Narren. Wieder trafen sich unsere Blicke. Zaghaft tastete ich mit der Gabe zu ihm hin. Nichts. Vielleicht war es nur mein unzuverlässiges Talent, das mir einen Streich spielte, doch wahrscheinlicher war, daß Krähe recht gehabt hatte; durch die Elfenrinde, die der Narr eben getrunken hatte, war er für mich nicht mehr zu erreichen.
Während Krähe sprach, hatte sie den Topf vom Feuer genommen. Der Narr streckte ihr wortlos den Becher hin.
Sie krümelte etwas von der Rinde hinein und goß kochendes Wasser darauf. Dann richtete sie abwartend den Blick auf mich. Ich schaute in die mir zugewandten Gesichter, doch in keinem fand ich Hilfe. Ich nahm einen Becher von dem Geschirrstapel. Ein Schatten fiel über Krähes Züge, und ihre Lippen wurden schmal; aber sie griff wortlos in den Beutel und tastete mit den Fingern bedächtig bis zum Grund, wo die Rindenstücke sich zu Pulver zerrieben hatten. Ich schaute grübelnd in den leeren Becher; dann sah ich zu Krähe. »Du hast gesagt, die Gabenattacke könnte sie vernichtet haben?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Wir sollten nicht darauf bauen.«
Es gab nichts, worauf ich bauen konnte. Nichts war sicher.
Ich stellte den Becher hin und kroch zu meinem Deckenlager. Auf einmal war ich unendlich müde – und voller Angst. Ich wußte, Will war irgendwo dort draußen und suchte mich. Auch wenn ich mich hinter der Elfenrinde versteckte, hatte ich nicht die Gewißheit, daß es genügen würde, um ihn fernzuhalten. Möglicherweise untergrub sie nur meine ohnehin geschwächten Schutzwehren. Eine innere Stimme sagte mir, daß ich in dieser Nacht würde kein Auge zutun können. »Ich übernehme die Wache«, erbot ich mich und stand auf.
»Er sollte nicht allein da draußen sein«, sagte Krähe unwirsch.
»Sein Wolf wacht mit ihm«, erklärte Kettricken zuversichtlich. »Er kann Fitz gegen diese falsche Kordiale schützen wie niemand sonst.«
Ich fragte mich, woher sie das wußte. Ich griff wortlos nach meinem Mantel und ging hinaus. Dort saß ich an dem herunterbrennenden Feuer und wachte und wartete wie ein Verurteilter auf den
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