Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
aufzufrischen und ihm einen Halt in der Wirklichkeit zu geben. War sein Verstand aber so klar und scharf wie eh und je, dann konnte es nicht schaden, die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge und ausführlich vor ihm auszubreiten. Ich wußte keinen anderen Weg, ihn zu erreichen.
Mein zweiter Beweggrund war, ihm klarzumachen, was wir ausgestanden hatten, um zu ihm zu gelangen. Auch wollte ich ihm vor Augen führen, was in seinem Königreich vor sich ging, während er hier mit seinem Drachen die Zeit vertrödelte. Möglicherweise hegte ich die Hoffnung, etwas von seinem früheren Verantwortungsbewußtsein zu wecken. Veritas hörte mir ohne sichtbare Regung zu. Nur manchmal nickte er bedächtig, als fände er eine geheime Befürchtung bestätigt. Und während der ganzen Zeit kratzte und scharrte die Schwertspitze über den schwarzen Stein, bis ich die Hände hinter dem Rücken verschränken mußte, um nichts Unbedachtes zu tun.
Es war fast dunkel, als ich Schritte näher kommen hörte. Ich unterbrach den Bericht von meinen Abenteuern in der Ruinenstadt und drehte mich herum.
»Ich bringe euch beiden heißen Tee«, sagte Krähe.
»Vielen Dank.« Ich nahm ihr meinen Becher ab. Veritas jedoch hob nur den Blick, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
Krähe hielt ihm den Becher hin, den er keine Anstalten machte zu ergreifen. Nach einer Weile fragte sie mit sanfter Stimme: »Was tut Ihr da?«
Das Kratzen verstummte. Er schaute sie an, dann mich, wie um sich zu vergewissern, ob ich diese unglaublich dumme Frage gehört hatte. Daß ich seinen Blick erwiderte, als wäre ich ebenfalls auf eine Antwort gespannt, schien ihn maßlos zu erstaunen. Er räusperte sich. »Ich erschaffe einen Drachen.«
»Mit Eurem Schwert?« Krähes Stimme verriet Neugier, sonst nichts.
»Nur die groben Umrisse«, erklärte er. »Für die feineren Arbeiten nehme ich mein Messer. Und für die Einzelheiten Finger und Nägel.« Wie liebkosend ließ er den Blick über die gewaltige Skulptur wandern. »Ich würde gerne sagen können, daß er fast vollendet ist«, meinte er unsicher. »Aber wie darf ich das behaupten, wenn noch so viel zu tun bleibt? So viel mehr zu tun, und ich fürchte, alles wird zu spät sein. Wenn es nicht bereits zu spät ist.«
»Zu spät für was?« fragte ich ihn im selben behutsamen Tonfall wie Krähe.
»Nun, um das Volk der Sechs Provinzen zu retten.« Er betrachtete mich, als hätte er es mit einem Toren zu tun. »Aus welchem Grund sollte ich sonst diese Mühsal auf mich nehmen? Weshalb sonst mein Land und meine Königin verlassen?«
Ich bemühte mich zu begreifen, was er da sagte; aber ehe ich mich’s versah, war mir die Frage entschlüpft, die mich schon die ganze Zeit beschäftigte: »Ihr glaubt, daß Ihr diesen ganzen Drachen aus dem Stein gehauen habt?«
Veritas überlegte. »Nein, selbstverständlich nicht.« Doch gerade als ich aufatmen wollte, weil er doch nicht vollkommen den Verstand verloren hatte, fügte er hinzu: »Er ist noch nicht fertig.« Wieder ließ er die Augen über den Drachen gleiten. Ein liebevoller Stolz lag in seinem Blick, wie er ihn einst für seine schönsten Landkarten empfunden hatte. »Doch allein soweit zu kommen hat lange gedauert. Sehr, sehr lange.«
»Wollt Ihr nicht Euren Tee trinken, solange er heiß ist, Majestät?« fragte Krähe und hielt ihm noch einmal auffordernd den Becher hin. Veritas schaute darauf, als wäre es ein ganz und gar fremdartiges Utensil; doch schließlich nahm er ihn ihr behutsam aus der Hand. »Tee. Ich weiß schon gar nicht mehr, was das ist. Doch nicht Elfenrinde, oder? Gütige Eda, wie ich das bittere Zeug verabscheut habe!«
Krähe war es sichtlich zuwider, ihn davon sprechen zu hören. »Nein, keine Elfenrinde, Majestät, bestimmt nicht. Nur wilde Kräuter, hauptsächlich Nessel und etwas Minze.«
»Brennesseltee. Meine Mutter pflegte uns in jedem Frühjahr eine Kur mit Brennesseltee zu verordnen, zur Blutreinigung und Stärkung.« Er lächelte in sich hinein. »Ich werde das in meinen Drachen hineinlegen. Der Brennesseltee meiner Mutter.« Er trank einen Schluck und machte ein überraschtes Gesicht. »Warm! Es ist lange her, seit ich etwas Warmes zu mir genommen habe!«
»Wie lange denn?« erkundigte sich Krähe im Plauderton.
»Sehr lange.« Veritas trank noch einen Schluck. »Es gibt Fische in einem Bach, ein Stück entfernt von hier. Doch es kostet soviel Zeit, welche zu fangen, erst recht sie zu braten. Um die Wahrheit zu sagen, ich denke
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