Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
zu unternehmen, Molly zu erreichen? Sie nur sehen, für einen Augenblick mich überzeugen, daß es ihr gutging... Wahrscheinlich gelang es mir ohnehin nicht, sie mit der Gabe zu berühren. Aber was konnte es schaden, wenn ich es versuchte, nur für einen kurzen Augenblick?
    Von Rechts wegen hätte es ein Kinderspiel sein müssen. Mühelos konnte ich mir jede Einzelheit ins Gedächtnis rufen. So oft hatte ich ihren Duft eingeatmet, ein Gemisch aus den Kräutern, mit denen sie ihre Kerzen parfümierte, und der Wärme ihrer eigenen süßen Haut. Ich kannte jede Nuance ihrer Stimme, ihr kehliges Lachen. Ich erinnerte mich an die feine Linie ihres Unterkiefers und wie sie das Kinn nach vorne reckte, wenn sie ärgerlich war. Ich kannte die seidige Beschaffenheit ihres vollen braunen Haares und den wachen Blick ihrer dunklen Augen. Sie hatte eine besondere Art gehabt, mein Gesicht zwischen ihre Hände zu nehmen und festzuhalten, während sie mich küßte... Ich tastete nach meiner Wange, in der traumverlorenen Hoffnung, ihre Hand dort zu finden und festzuhalten, doch ich fühlte unter meinen Fingerspitzen nur die unregelmäßige Linie einer Narbe. Dumme Tränen stiegen mir in die Augen. Ich zwinkerte, bis mein Blick wieder klar wurde. Ich war müde, sagte ich mir. Zu müde, um Molly mit meiner Gabe zu erreichen. Die Stunden der Nacht waren besser genutzt, wenn ich mich hinlegte, um zu schlafen. Wie verwirrend diese Gefühle waren und wie schmerzhaft, aber das hatte ich gewählt, als ich mich dafür entschied, wieder ein Mensch zu sein. Vielleicht war es klüger, als Wolf zu leben. Bestimmt mußte ein Tier niemals etwas Derartiges durchleiden.
    Draußen in der Nacht hob ein einzelner Wolf den Kopf zum schwarzen Himmel, und sein Heulen kündete der Welt von seiner Einsamkeit und Verzweiflung.

Kapitel 4
Der Fernweg
     
    Die Küste der Bocksmarken, des ältesten Herzogtums der Sechs Provinzen, erstreckt sich von einem Punkt unterhalb Hohenheide südlich bis zur Mündung des Bocksflusses und der Badebucht. Die Geweihinsel ist noch Teil der Marken. Unser Reichtum speist sich aus zwei Quellen: den reichen Fischgründen vor der Küste und der Handelsschiffahrt den Bocksfluß hinauf, um die Inlandprovinzen mit allen Gütern zu beliefern, die sie nicht selbst erzeugen können. Der Bocksfluß ist ein breiter, mäandriger Strom, der im Frühling oft das Tiefland überflutet. Die Strömung sorgt dafür, daß das ganze Jahr hindurch eine Fahrrinne offenbleibt, mit Ausnahme der vier härtesten Winter in der Geschichte der Marken. Nicht allein die Produkte der Marken werden den Fluß hinauf verschifft, sondern auch Handelsgüter aus Rippon und Shoaks und Importe aus den Chalced-Staaten und Bingtown. Den Fluß hinunter kommen die Erzeugnisse, die die Inlandprovinzen zu bieten haben, dazu Pelze und Bernstein aus dem Bergreich.
     
    Ich wachte auf, weil Nachtauge mir mit der kalten Nase gegen die Wange stupste. Trotzdem kehrte ich nicht mit einem Ruck aus dem Reich der Träume zurück, sondern wurde mir nur allmählich und verschwommen meiner Umgebung bewußt. Mein Schädel dröhnte, und mein Gesicht fühlte sich steif an. Die leere Flasche Holunderbeerwein rollte über den Boden, als ich mich mühsam aufsetzte.
    Du schläfst zu fest. Bist du krank?
    Nein. Bloß dumm.
    Mir ist nie zuvor aufgefallen, daß man deshalb fester schläft.
    Er stupste mich wieder, und ich schob ihn weg. Ich kniff die Augen zusammen und riß sie wieder auf. Keine wesentliche Verbesserung. Ich warf ein paar Zweige in die Glut des Feuers von letzter Nacht. »Ist es Morgen?« fragte ich schlaftrunken, auf Menschenart.
    Ich kann ihn wittern. Wir sollten jagen.
    Geh nur. Ich habe keinen Hunger.
    Wie du willst. In der offenen Tür verharrte er. Ich glaube nicht, daß unter einem Dach zu schlafen dir gut bekommt. Damit war er fort, ein grauer Schatten, vom Morgennebel verschlungen. Langsam legte ich mich wieder hin und schloß die Augen. Noch etwas schlafen.
    Als ich zum zweitenmal erwachte, strömte helles Tageslicht durch die offene Tür. Ein kurzes Spüren fand einen gesättigten Wolf dösend im getupften Schatten zwischen zwei dicken Wurzeln einer Eiche. Nachtauge hatte nichts übrig für sonnige Tage. An diesem speziellen Tag teilte ich seine Meinung, aber ich zwang mich, den Entschluß von gestern in die Tat umzusetzen. Ich machte mich daran, in der Hütte Ordnung zu schaffen, bis mir einfiel, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach nie wieder hierher zurückkehren

Weitere Kostenlose Bücher