Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
Entfremden tief in die Sechs Provinzen hinein, wie ein schleichendes Giß, das in einer Lebensader zum Herzen strömt.
Als die Roten Schiffe schließlich Fierant bedrohten, entdeckten die Barone von Tilth und Farrow, daß ein großer Teil der Armeen der Sechs Provinzen weit landeinwärts verlegt worden war, nach Blauer See und noch darüber hinaus, an die Grenze des Bergreichs. Der Adel dieser Herzogtümer mußte plötzlich die Feststellung machen, daß nur ihre persönlichen Leibgarden zwischen ihnen und der Katastrophe standen.
Ich taumelte aus dem Pfeiler in einen Kreis aufgeregter Menschen. Zur Begrüßung sprang mir ein Wolf mit voller Wucht gegen die Brust und warf mich um, so daß, als Veritas herauskam, er beinahe über mich gestürzt wäre.
Sie hat mich verstanden! Ich habe ihr gesagt, daß du in Gefahr bist, und sie hat ihn geschickt, damit er dir hilft. Sie hat mich verstanden, sie hat mich verstanden! Nachtauge war völlig aus dem Häuschen und benahm sich wie ein aufgeregter Welpe. Er fuhr mir mit der Schnauze durchs Gesicht, schnappte nach meiner Nase; dann warf er sich neben mir auf den Boden und halb in meinen Schoß.
»Er hat einen Drachen aufgestört! Nicht so, daß er aus dem Schlummer erwacht ist, aber ich habe gespürt, wie er sich regte! Vielleicht gelingt es doch, sie alle zu wecken!« Veritas, der strahlend die frohe Botschaft verkündete, während er ungerührt über uns hinwegstieg. Er stieß sein glänzendes Schwert gen Himmel, wie um den Mond herauszufordern. Ich hatte, wie so oft in letzter Zeit, keine Ahnung, wovon er redete. Benommen auf dem Boden sitzend, schaute ich in die Runde. Der Narr sah ausgebrannt und müde aus. Kettricken, stets ein Spiegelbild ihres Gemahls, lächelte über Veritas’ Begeisterung. Merle betrachtete uns mit gierigen Dichteraugen und prägte sich jede Kleinigkeit ein. Krähe, Hände und Arme silbern bis zu den Ellbogen, kniete umständlich neben mir nieder und fragte: »Fehlt dir etwas, Fitz?«
Ich starrte sie an. »Was hast du getan?«
»Was nötig war. Veritas brachte mich zu dem Fluß in der Stadt, und nun wird unsere Arbeit viel schneller vonstatten gehen. Was ist dir zugestoßen?«
Ich gab keine Antwort, sondern durchbohrte Veritas mit einem anklagenden Blick. »Ihr habt mich weggeschickt, damit ich Euch nicht folge! Ihr wußtet, daß es unmöglich ist, die Drachen zu wecken. Ihr wolltet mich nur aus dem Weg haben!« Der Zorn und das Gefühl, betrogen worden zu sein, waren so übermächtig, daß ich mich nicht beherrschen konnte.
Veritas schenkte mir sein altes Grinsen ohne eine Spur von Reue. »Wir kennen einander wirklich gut, nicht wahr?« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Ja, es war ein Narrengang, auf den ich dich geschickt habe, aber am Ende war ich der Narr, denn du hast es getan. Du hast einen Drachen geweckt oder ihn wenigstens im Schlaf gestört.«
Ich schüttelte entschieden den Kopf.
»Aber ja doch. Du mußt es gespürt haben, dieser Wellenschlag der Gabe, bevor ich zu dir kam. Was hast du getan? Wie ist es dir gelungen?«
»Ein Mann ist auf einem Hauer des steinernen Keilers gestorben«, antwortete ich mürrisch. »Mag sein, daß man so diese Drachen erwecken kann. Mit Blut und Tod.« Ich kann nicht beschreiben, wie tief verletzt ich mich fühlte.
Was rechtens mir zustand, hatte Veritas genommen und es Krähe gegeben. Er schuldete diese Gabengemeinschaft mir, keinem anderen. Wer sonst hatte einen so weiten Weg zurückgelegt, soviel aufgegeben, für ihn. Wie konnte er mir die Mitarbeit an seinem Drachen verweigern?
Es war Gabenhunger, schlicht und einfach, aber das wußte ich damals nicht. Ich fühlte nur, wie vollkommen er mit Krähe verbunden war und wie fest entschlossen, nicht zu dulden, daß ich Teil dieser Verbindung wurde. Er schloß mich aus, als wäre ich Edel. Ich hatte Weib und Kind verlassen und alle sechs Provinzen durchquert, um ihm zu dienen, und nun wies er mich ab. Mich hätte er mit zu dem Fluß der Magie nehmen müssen, bei mir sein, während mir diese höchste Weihe zuteil wurde! Nachtauge kehrte von seinem Scharwenzeln um Kettrickens Beine zu mir zurück und schob den Kopf unter meinen Arm. Ich rieb seine Kehle und drückte ihn an mich. Er wenigstens gehörte mir.
Sie hat mich verstanden, wiederholte er aufgeregt. Ich habe es ihr gesagt, und sie hat ihm gesagt, er muß gehen.
Kettricken trat zu mir und erklärte: »Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, du wärst in großer Gefahr. Es kostete viel
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