Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
zurück nach Bocksburg und zu dem letzten Mal, als ich Musik gehört und fröhliche Menschen gesehen hatte. Mir war nicht bewußt, daß ich die beiden Sängerinnen unverwandt angaffte, bis ich sah, wie eine von ihnen die andere mehrmals mit dem Ellenbogen anstieß und mit einer unauffälligen Handbewegung auf mich deutete. Die andere verdrehte die Augen, dann erwiderte sie meinen Blick. Ich schlug die Augen nieder und errötete über mein unverschämtes Betragen.
Als das Lied zu Ende war, klatschte ich wie alle anderen Beifall. Der Mann mit der Harfe hatte sein Instrument neu gestimmt, und er leitete über in eine getragenere Melodie im Rhythmus stetiger Ruderschläge. Die Mädchen saßen auf der Tischkante, Rücken an Rücken, so daß ihre langen schwarzen Haare sich vermischten, und sangen. Die Zuhörer, die in einem Halbkreis die improvisierte Bühne umstanden hatten, setzten sich wieder hin. Einige zogen sich zu halblauten Gesprächen an Tische weiter hinten zurück. Ich beobachtete das Spiel des Mannes auf der Harfe und bewunderte die Flinkheit seiner Finger. Nicht lange, und ein rotwangiger Schankbursche stand neben mir und fragte nach meinen Wünschen. Nur einen Krug Ale, antwortete ich ihm, und gleich war er wieder da mit dem vollen Krug und der Handvoll Kupfergroschen, die von meinem Silberkurant übriggeblieben waren. Ich suchte mir einen Tisch in der Nähe der Vaganten, halb in der Hoffnung, jemand wäre neugierig genug, sich zu mir zu setzen. Doch nur einige der offensichtlichen Stammgäste schauten kurz herüber, ansonsten schien niemand großes Interesse an einem Fremden zu haben. Die Spielleute beendeten ihren Vortrag und begannen eine halblaute Unterhaltung. Ein Blick des älteren Mädchens machte mich darauf aufmerksam, daß ich schon wieder gaffte. Ich schaute auf die Tischplatte.
Nach ungefähr dem halben Krug merkte ich, daß ich nicht mehr an Bier gewöhnt war, besonders nicht auf leeren Magen. Ich winkte den Schankjungen heran und bestellte etwas zu essen. Er brachte mir ein Stück von dem Braten, dazu eine Portion Wurzelgemüse, übergossen mit Brühe. Das und eine zweite Füllung für meinen Krug kostete mich den größten Teil meiner Kupfergroschen. Als ich wegen der Preise die Brauen hob, war der Junge überrascht. »Das ist nur die Hälfte von dem, was man Euch in der Spinnenjungfer abnehmen würde, Herr«, klärte er mich beleidigt auf. »Und der Braten ist gutes Schafsfleisch, nicht jemandes alter Ziegenbock, der ein unrühmliches Ende genommen hat.«
Ich bemühte mich, die Wogen zu glätten. »Nun, ich nehme an, ein Silberkurant ist auch nicht mehr das, was er einmal war.«
»Mag sein, aber da kann ich nichts für«, entgegnete der Junge schnippisch und verschwand wieder in der Küche.
»Nun, da hat sich ein Viertel meiner Barschaft schneller verflüchtigt als gedacht«, sagte ich vor mich hin.
»Wenn das nicht ein Lied ist, das wir alle kennen«, bemerkte der Harfner. Er saß mit dem Rücken zu seinem eigenen Tisch und beobachtete mich, während seine zwei Begleiterinnen über eine Flöte sprachen, die anscheinend schlecht zu spielen war. Ich rückte ihm lächelnd zu, dann aber fiel mir der graue Schleier über seinen Augen auf.
»Ich bin eine Weile nicht mehr am Fluß gewesen«, erklärte ich, weil er mein Nicken nicht gesehen haben konnte. »Ziemlich lange, um genau zu sein, ungefähr zwei Jahre. Bei meiner letzten Reise den Fernweg entlang waren Gasthäuser und Mahlzeiten weniger kostspielig.«
»Tja, ich wette, so sieht es überall in den Sechs Provinzen aus, wenigstens in denen an der Küste. Die Leute sagen mittlerweile, neue Steuern sind häufiger als der neue Mond.« Er schaute sich um, als könne er sehen. Daraus schloß ich, daß er noch nicht lange blind war. »Und ein anderes neues Sprichwort sagt, die Hälfte der Steuern mästet die Männer aus Farrow, die sie eintreiben.«
»Josh!« tadelte ihn eins der Mädchen. Er wandte sich zu ihr um.
»Du kannst mir keine Angst machen, Imme. Meine Nase wittert einen von denen aus Farrow auf hundert Schritte.«
»Und kannst du auch riechen, mit wem du gerade sprichst?« fragte sie ihn spitz. Imme war das ältere der beiden Mädchen, ungefähr in meinem Alter.
»Ein junger Bursche, der in letzter Zeit etwas Pech gehabt hat, würde ich sagen. Und deshalb kein fetter Steuereintreiber aus Farrow. Außerdem, ich wußte gleich, daß er keiner von Vigilants Schergen ist, als er sich über den Preis des Essens beschwerte. Wann hast
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