Die Legende von Shannara 02: Die Herrschaft der Elfen
wobei sie dem Pfad folgte, den Deladion Inch ihr aufgezeichnet hatte. Sie wollte sein persönliches Quartier erreichen, wo sie, wie er ihr gesagt hatte, etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen finden würde.
Es dauerte ewig. Jedenfalls kam es ihr so vor. Zum Teil lag es an der Wegbeschreibung, nach der sie einer Reihe von roten Pfeilen folgen sollte, die auf die Wände gemalt waren. Nur gab es alle möglichen Arten von Pfeilen, die sich manchmal überlappten und dann wieder lange gar nicht mehr auftauchten. Folglich war sie gezwungen, ihre Schritte immer wieder zurückzuverfolgen, um auf dem vorgeschriebenen Pfad zu bleiben. Aber sie machte Inch deswegen keine Vorwürfe; er hatte wohl nicht erwartet, dass irgendjemand den Weg ohne seine Hilfe finden musste. Deshalb war ihm wohl auch nie in den Sinn gekommen, die Zeichen deutlicher zu markieren oder eine lesbare Karte anzufertigen.
Prue war müde, als sie ihr Ziel schließlich erreichte, die Küche. Dort bewahrte er seine Nahrungsmittel auf, Konserven, Geschirr und Utensilien. Sie machte sich etwas zu essen und setzte sich dann an den hölzernen Tisch, den er so oft benutzt haben musste. Sie dachte über Inch nach, stellte sich vor, was für ein Leben er geführt hatte, und erneut überkam sie Trauer, weil es ihretwegen vorzeitig geendet hatte. Sie hatte den Mann gemocht, und jetzt wünschte sie sich, sie hätte eine Chance gehabt, ihn besser kennen zu lernen. Andererseits gab es nur sehr wenige Chancen in ihrer Welt, und zumeist musste man sich mit dem begnügen, was man bekam, und dankbar dafür sein.
Als sie fertig gegessen hatte, stieg sie ein paar Stufen zu einem Ausguck hinauf und kroch bis an den Mauerrand, von wo aus sie in die Dunkelheit spähte. Weit weg, vielleicht eine Meile entfernt, in den Felsen vor dem Eingang zu den Ruinen, durch die sie zu der Festung geflüchtet war, brannte ein helles Feuer in der Dunkelheit. Die Trolle waren also nicht verschwunden, sondern hatten sich nur zurückgezogen, um die Nacht abzuwarten. Am nächsten Morgen würden sie wahrscheinlich wiederkommen und nach ihr suchen. Sie hätte gern gewusst, wie ihre Chancen standen, aber das war unmöglich vorherzusagen. Sicherlich besser als zuvor, aber immer noch nicht sonderlich gut.
Dann erinnerte sie sich an die automatische Waffe, die Inch ihr gegeben hatte. Sie steckte noch in ihrer Manteltasche. Sie griff hinein und zog die Waffe heraus. Es war ein kurzläufiges, kompaktes schwarzes Todeswerkzeug, eines, das Metallprojektile benutzte, wie damals während der Großen Kriege. Der Name stand in winzigen, erhabenen Buchstaben auf dem Lauf: FLANGE 350. Inch hatte sie eine Automatik genannt. Zwölf Schüsse. Sie musste nur den Abzug betätigen, dann feuerte sie die Patronen einzeln oder auf einmal ab. Prue musterte die Waffe zweifelnd. Sie hatte so etwas noch nie gesehen, nie in der Hand gehabt und ganz gewiss nicht abgefeuert. Zwar ging sie davon aus, dass sie es notfalls konnte, aber sie hoffte, dass es nicht dazu kommen würde. Ein Bogen mit Pfeilen würde ihr jedenfalls deutlich besser gefallen, falls sie hier so etwas fand. Diese metallene Waffe dagegen bereitete ihr Unbehagen, als stellte sie ebenso für sie eine Gefahr dar wie für jeden anderen, gegen den sie sie verwendete.
Es bereitete ihr außerdem keinerlei Genugtuung zu wissen, dass sie sie besaß. Prue schob sie wieder in die Manteltasche zurück und ging die kleine Treppe hinab in Inchs Quartier, um zu schlafen.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, waren ihre Augen geschwollen und sie fühlte sich desorientiert. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, hatte sie geweckt. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, wo sie war. Sie setzte sich ruckartig auf und sah sich um. Es war beinahe vollständig dunkel, nur durch einen Lüftungsschacht hoch oben in der Wand fiel spärlich Licht in den Raum. Dann erinnerte sie sich wieder. Sie war in Deladion Inchs Festungshöhle, abgekapselt vom Rest der Welt, sicher vor den Drouj.
Sie stand auf, gähnte und reckte die Arme über den Kopf. Zwar hatte sie geschlafen, aber sie fühlte sich trotzdem nicht sonderlich erholt. Sie schaltete die Taschenlampe an und sah sich prüfend in dem Raum um. Dann stieg sie die Treppe zu dem Ausguck hinauf.
Als sie diesmal ins Freie trat, war sie vorsichtiger, duckte sich, damit sie von unten nicht gesehen werden konnte. Die Sonne stand hoch am Himmel; es musste schon fast Mittag sein. Sie schob sich durch die Tür und kroch auf Händen
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