Die Legende von Skriek 1 - Das Attentat
allein wesentlich schneller. Sincha Ankonski wird stinksauer auf mich sein, dass ich ohne ihren Schutz in den Wald gehe und womöglich mein Leben riskiere. Aber auf Sinchas Gefühle kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich laufe gebückt durch das hohe Gras und erreiche den Waldrand. Das Unterholz ist dicht. Büsche und Farne versperren mir den Weg, Ranken und Äste blockieren mein Vorwärtskommen. Ich zerre wütend die Äxte aus ihren Halterungen und lege sie am Waldboden ab. Auch mein Kampfstab behindert mich zu sehr und verfängt sich immer wieder in Stauden und Zweigen. Schweren Herzens lasse ich auch ihn zurück. Jetzt habe ich nur mehr meine Krallen, meine Instinkte und meine Muskelkraft. Und ich habe Thurantuh. Noch einmal berühre ich mein Stieramulett und bete um Hilfe. Dann eile ich weiter. Zweige peitschen mein Gesicht und meine Schultern, doch ich achte kaum darauf. Immer wieder wittere ich, doch ich kann Kathinka nicht wahrnehmen. Wo ist sie? Das Unterholz wird noch dichter. Jeder Schritt ist mühsam und ich mache zuviel Lärm. Rundum ist es stockfinster. Wie soll ich da Kathinka nur finden? Verzweiflung macht sich in mir breit. Ich stolpere über eine Wurzel und nur mit Mühe kann ich einen Sturz verhindern. Mein Herz pocht. Schweiß rinnt aus all meinen Poren. Was soll ich tun? Keuchend hocke ich mich hin und lausche. Mir wird bewusst, wie viel mir Kathinka bedeutet. Sie ist mir wichtig geworden. Wichtiger als alles andere auf dieser Welt. Der Skriek in meiner Seele erwacht und ich erkenne den brennenden Wunsch in mir, dass Kathinka meine Seelenpartnerin wird und für alle Zeiten mit mir verbunden ist. Meine Ohren zucken. Die Geräusche des Waldes irritieren mich, lenken mich ab. Wo ist Kathinka? In welche Richtung muss ich mich wenden? Ich balle meine Fäuste, wittere, hoffe und lausche. Meine Gedanken kreisen. Mir wird klar, dass ich Kathinka eigentlich gar nicht richtig kenne. Ich weiß so wenig von ihr. Was macht ihr Freude? Was ärgert sie? Was denkt sie über dieses und jenes? In vielen Dingen ist sie mir fremd. Ein Rätsel. Doch einiges weiß ich auch über sie. Kathinka hat gelitten und verabscheut zutiefst rohe Gewalt. Sie ist mutig, stolz und stur. Sie hasst die dunklen Boten und König Angrias. Sie versucht, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Und sie ist überaus intelligent. Aber worüber lacht sie? Welche Lieder gefallen ihr? Was ist ihre Lieblingsfarbe? Wovon träumt sie in der Nacht? All das weiß ich nicht. Ich weiß nur mit jeder Faser meiner skriekischen Seelenhälfte, dass sie meine Liebe ist. Meine verbundene Seele. Und ich bin ihr Paladin.
Ein Paladin, der verzweifelt und verschwitzt am Waldboden hockt, von Dickicht umgeben ist und nicht weiß, wo seine Liebste ist. Scham und Angst ringen in mir. Ich stehe auf, atme durch und bete erneut zu Thurantuh. Hilf mir! Ich bekomme noch immer keine Antwort von ihm. Wo ist er nur? Ich brauche ihn! Beinahe ohne Hoffnung gehe ich weiter und wittere erneut. Ich schnuppere, rieche und lausche: Nichts! Nur Dunkelheit und Dickicht. Meine vier spitzen Eckzähne schlagen voll Ingrimm aufeinander. Ich balle die Fäuste so fest, dass meine Krallen die Innenflächen meiner Hände blutig ritzen.
Und dann ist da auf einmal ein Geruch. Anfangs noch ganz schwach, kaum wahrnehmbar. Aber er ist da. Ich kann ihn riechen. Endlich habe ich Kathinkas Spur gefunden. Neue Hoffnung durchströmt mich und ich eile weiter, immer Kathinkas Duftspur hinterher. Und plötzlich wittere ich etwas Neues, das mir dennoch vertraut ist. Es ist der Geruch von Angst, Tod und Blut. Ich bleibe stehen und versuche, meine Atmung zu beruhigen. Kathinka ist in der Nähe. Nun muss ich der eiskalte, berechnende Krieger sein, der Thurantuh stolz macht. Ohne Fehler, ohne Zögern muss ich sein. Schnell und tödlich. Ich haste weiter. Die Bäume, Sträucher und Farne wachsen nicht mehr so dicht nebeneinander. Zwei dutzend Schritte vor mir ist eine kleine Waldlichtung. Und dort sind Gestalten. Menschen. Leise schleiche ich näher, nutze jede Deckung und vertraue meinen Instinkten als Jäger und Krieger. Endlich bin ich nahe genug an die Lichtung herangekommen. Sie ist von fahlem Sternenlicht beleuchtet, sodass ich genug sehen kann. Mein Herz setzt für einen Schlag aus. Kathinka liegt nackt und blutend am Boden. Sie hat zahlreiche Kratzer im Gesicht und einen klaffenden Riss an ihrer linken Schulter. Ihre Hände sind gefesselt. Ihr langes, dunkles Haar ist verfilzt und bedeckt
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