Die Legende von Skriek 1 - Das Attentat
schlängelnd durch den grünen Wald führt und von vielen Menschen frequentiert ist. Neben den mittlerweile allgegenwärtigen Soldaten und Söldnern, die das ostalische Adlerzeichen mit dem Schwert in den Krallen stolz mit sich tragen, sieht man auch fahrendes Volk und Händler. Hinzu kommen noch Mägde, Knechte, Tagelöhner und Handwerker, die emsig und geschäftig nach Norden, Richtung Karnium, oder nach Süden, Richtung Timion und Salur, strömen. Gut hundert Meilen westlich von Barius, jenem Königreich, das wir als nächstes erreichen wollen, liegt Yestshire. Laut Sincha haben wir noch knapp vier Wochen Fußmarsch vor uns. Wir kommen unserem Ziel langsam, aber beständig näher. Auch wenn sich das für mich im Moment nicht so anfühlt. Wieder einmal schlagen wir uns durch das Unterholz neben der Handelsstraßen, um uns vor unliebsamen Blicken fernzuhalten. Jeden Schritt müssen wir dem Wald abtrotzen. Oft bleiben die Schneideblätter meiner Äxte im Geäst hängen und ich habe Mühe, sie wieder freizukommen. Abwechselnd fluche und bete ich. Viel anderes gibt es auch nicht zu tun. Zweige und Dornen fassen nach uns und erschweren unser ohnehin schon äußerst behäbiges Vorwärtskommen. Unsere Kleidung ist mittlerweile arg ramponiert. Selbst Romaldo wirkt nicht mehr sonderlich geschniegelt und herausgeputzt, selbst wenn sein Mantel, seine Hose und sein Rüschenhemd deutlich sauberer sind als beim Rest von uns. Mehrmals habe ich in den letzten Tagen schon zu Nadel und Zwirn gegriffen, aber die Risse in meinem Kapuzenmantel sind kaum mehr zu flicken. Meine Hose ist zerschlissen und schmutzig. Allein mein Hemd ist noch einigermaßen ansehnlich, auch wenn auf der Vorderseite mehrere dunkle Flecken sind. Den anderen geht es, jetzt einmal vom eitlen Prinzen Romaldo abgesehen, auch nicht viel besser. Wir sind ein abgerissener, ramponierter Haufen. Und das zeigt sich nicht nur an unserem Äußeren. Auch innerlich wird die Gemeinschaft der Gruppe nur mehr durch wenige lose Fäden zusammengehalten. Die Ereignisse von vorletzter Nacht haben endgültig alle Gräben aufgerissen. Romaldo gibt sich nur noch als zynischer Spötter und zeigt Sincha und allen anderen deutlich seine Verachtung. Knut macht ein Gesicht wie Siebentageregenwetter und knurrt unverständliches Zeug. Die Amazonen, allen voran Clarina, sind mir immer noch böse und halten mich für ein gefährliches Tier, das nur darauf achtet, Kathinka Ebensa zu beschützen.
Kathinka ist, seit sie von Sincha Ankonski geohrfeigt worden ist, deutlich reservierter zu der drahtigen Heerführerin und ihren Kriegerinnen. Sie hat sich gestern Abend auch geweigert, mit Sincha ihre Säbelkampfübungen zu absolvieren. Sincha hat es mit einem kurzen Achselzucken akzeptiert. Sie legt wohl selbst keinen Wert mehr darauf, Zeit mit Kathinka zu verbringen. Ich habe kurz überlegt, ob ich mit Kathinka den Säbelkampf üben sollte, aber mir ist schnell klar geworden, dass das keinen Sinn hätte. Mit Stich- und Fechtwaffen kann ich nicht umgehen. Sie sind viel zu filigran für meine kralligen Hände. Ich wäre Kathinka alles andere als ein guter Lehrmeister.
Wir kommen zu einem Wasserlauf und füllen unsere Schläuche. Es ist recht schwül im Wald. Alle schwitzen und trinken gierig das kühle Nass. Nach einer Weile stellt sich Sincha etwas abseits und beginnt, ihre Landkarten zu studieren. Ich bin ihr immer noch gram, weil sie Kathinka geohrfeigt hat. Doch da macht sich plötzlich und zu meiner nicht geringen Verwunderung das Erbe meiner Mutter in mir bemerkbar. Trotz aller Irritationen möchte ich mich wieder mit der hageren Heerführerin vertragen. Ihr Schweigen und ihre ablehnende Distanz halte ich nur schwer aus. Ich möchte mit ihr reden, mich mit ihr unterhalten. Daher gehe ich zu ihr. Ich bin manchmal doch noch viel mehr Skriek, als ich meist wahrhaben will.
»Sincha«, sage ich, »ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich dich gewürgt habe.«
Sie blickt mich an und ihre grünen Augen verengen sich. »Habe ich eine Entschuldigung von dir erwartet?«
Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht, Heerführerin.«
»Skriek, glaube mir, von dir erwarte ich nichts mehr.«
Ihre Stimme klingt so kalt und ablehnend, dass ich überrascht einen Schritt zurücktrete. Ihr Verhalten verletzt mich. Ich habe meinen skriekischen Instinkten nachgegeben und versucht, die Distanz zwischen der Amazone und mir zu überbrücken, aber wenn sie nicht will, kann ich auch anders. Mein Gott
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