Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
genug sind, einen Fuß in den Stollen zu setzen.«
»Und wir wären dumm, in die Höhe zu steigen, ohne zu prüfen, wie es sich mit dem Gestein der Decke verhält.«
Sie drückte ihm die Fackel in die Hand, dann zog sie einen Dolch, nahm Maß und schleuderte ihn unter Aufbietung all ihrer Kräfte nach oben.
Die Waffe surrte davon, traf mit der Spitze voran gegen den Felsen und prallte ab, ohne einen Kratzer darin zu hinterlassen, wenn Saphôra ihre Augen nicht täuschten.
Ôdaras verzog missmutig das Antlitz. Er wusste, was es bedeutete. Nun blieb ihnen lediglich der Tunnel.
»Nachdem wir beide zum Entschluss gekommen sind, uns unnötige Arbeit zu ersparen, kommen wir zur nächsten Frage.« Saphôra wies auf den Eingang.
»Wer der bessere und geschicktere Kämpfer von uns beiden ist.« Der Alb betrachtete sie. »Ich besiegte dich öfter als du mich.« Er wollte sich ans Absteigen machen, aber sie hielt ihn am Arm fest.
»Jedoch nur mit dem Speer. Mit dem Schwert war ich dir überlegen.«
»Zwei Siege Vorsprung, mehr nicht.«
»Und doch ein Vorsprung.« Saphôra lächelte schwach. »Lass mich vorgehen, Ôdaras. Ich zeige der Bestie, dass sie sich die falschen Happen aussuchte, und wenn sie sich an mir die Zähne ausgebissen hat, magst du ihr den Rest geben.«
Der Alb lachte. »Schön. Aber ich werde dir dicht auf den Fersen sein.«
»Solange du mich nicht beim Ausholen behinderst.« Saphôra begann mit Pendelbewegungen.
»Was tust du?«
»Wie soll ich sonst bis zum Vorsprung …«
Es ruckte erneut.
Das Seil rutschte ab und blieb an einer leichten Krümmung des Stalaktiten hängen. Das darauf folgende, leise Knacken bedeutete nichts Gutes.
»Wir sind zu schwer«, raunte Ôdaras, als würde ein lautes Wort das Brechen beschleunigen.
»Aber wir können nichts mehr an Ballast abwerfen, außer unseren Waffen und Rüstungen«, erwiderte Saphôra und blickte zum Stolleneingang. Noch reichte die begonnene Pendelbewegung nicht aus, um sie bis dorthin zu schleudern.
Erneut knirschte es über ihnen, ein Steinchen sprang vom Kalkgebilde ab.
Ich schwor, dass ich nicht sterben werde. »Da! Sieh doch! Die Bestie erklimmt die Wand!«, rief Saphôra.
Ôdaras wandte alarmiert den Kopf.
In einer fließenden Bewegung zog Saphôra ihren zweiten Dolch und stach ihn von unten durch die schmale Lücke zwischen Helm und Halsbeuge.
Der Alb starrte sie an, die Augen weit aufgerissen. Blut lief aus seinem geöffneten Mund und erstickte den Schrei, doch er umkrampfte unnachgiebig das Seil – und rüttelte daran.
»Wirst du wohl aufhören?«, schrie sie und versetzte ihm Ellenbogenschläge ins Antlitz, brach ihm die Nase mehrfach.
Doch Ôdaras ließ nicht los. Er schien seine Mörderin mit in die Endlichkeit nehmen zu wollen. Über sein blutverschmiertes Antlitz huschten die schwarzen Wutlinien.
Dann eben so. Saphôra griff um, packte mit der Linken das Seil über Ôdaras Finger, zog den feuchten Dolch aus dem Hals und zerschnitt den Strick.
Der sterbende Alb schoss in die Tiefe. Er zog eine Bahn aus Blutperlen hinter sich her, riss die Fackel mit sich und wurde kleiner und kleiner, bis das Licht erlosch.
»Du sagtest doch: Lieber komme ich bei dem Versuch um, einen Ausweg zu finden«, rief Saphôra ihm keuchend nach und verstaute den Dolch. Sie zog sich mit beiden Händen am Strick hoch, der ihr nun ganz alleine gehörte – und sah nichts.
Absolut nichts.
Wie soll ich jetzt zum Eingang gelangen?
Über ihr erklang ein leises, für ihre Ohren jedoch zerstörerisch lautes Knistern.
»Um den Feind zu stellen,
und töteten furchtlos
jegliches Scheusal,
das sie hinderte.«
Tark Draan (Geborgenes Land), nordwestlich von Dsôn Bhará, 5434. Teil der Unendlichkeit (6310. Sonnenzyklus), Frühling
Enden die Kopfschmerzen jemals? Phasâlor stieg die Zackenkrone abwärts und näherte sich dem Loch, das sie als vermeintlichen Eingang ins Zwergenreich ausgemacht hatten. Es tat nicht wirklich weh, aber das Hämmern und der Druck in seinen Ohren lenkten ihn zu sehr ab.
Er eilte, das Herz pumpte gegen die Höhe an, und auch die Lungen gerieten an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Doch es gab keine Zeit zu verlieren.
Phasâlor nutzte den Speer als Stütze auf dem tückischen Untergrund, rutschte über das Eis und wünschte sich einen Schild, um sich daraufzusetzen und ihn als Schlitten zu gebrauchen. Das ginge noch schneller.
Er gelangte in einen Hohlweg, wie ihn Niederschlag und Schmelzwasser in vielen Teilen der
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