Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
aus!« Carmondai lachte leise. »Wie geschickt. Somit kannst du jederzeit behaupten, du wärst in die Maskerade einer Albin geschlüpft.«
»Der Hauptmann verpasst keine Vorstellung, die ich gebe.« Sie stimmte in seine Heiterkeit ein, sogar ihre blaugrauen Augen spiegelten die Fröhlichkeit. »Es ist so einfach, nicht wahr? Ich habe mich dem kleinen Theater in Weydenwog angeschlossen, die von meinen Talenten begeistert waren. Das werde ich meinen Kindern empfehlen. Es ist die beste Tarnung, die man sich vorzustellen vermag. Dort kann ich meine Rüstung und meine alten Kleider aus Dsôn tragen, um darin bewundert anstatt verfolgt zu werden. Die Barbaren sind glücklicherweise leicht zu täuschen und mitunter so gutgläubig.«
»Klerond ist dein Gemahl?«
Sie nickte. »Er ist einer der Stadträte und Vorsitzender der Hiever-Zunft. Die Hiever sind dafür verantwortlich, dass die Anker in der richtigen Reihenfolge geworfen und gehoben werden.« Sie blieb stehen und legte einen Finger an das rechte Ohr. »Gleich geht es los. Hör genau hin.«
Kaum hatte sie es ausgesprochen, erklang das anhaltende Tönen einer sehr tiefen Pfeife, in das nach und nach andere einstimmten.
»Das ist das Zeichen für die Hiever des Inneren Kreises«, erläuterte Morana. »An verschiedenen Stellen werden nun die schweren Anker abgelassen und nehmen Weydenwog die Geschwindigkeit. Erst wenn diese langsam genug ist, werden die Anker des mittleren und dann des äußeren Kreises ausgeklinkt und auf den Grund geschickt. Würde man die Äußeren zuerst setzen, würde es die Stadt womöglich auseinanderreißen.«
Carmondai besaß eine ungefähre Vorstellung, wie das alles funktionierte und ablief, doch ihm fehlte der große Überblick. »Kannst du mir das genauer schildern?«, bat er, während sie durch die Straßen und Plätze eilten. Nichts wies darauf hin, dass unter ihren Füßen Wasser und ein meilentiefer See lag.
»Das tue ich – sofern du mir versprichst, es für dich zu behalten und es erst öffentlich beschreibst, wenn es keine Rolle mehr spielt.« Morana sah ihn ernst an. »Die Unauslöschlichen sollen ihre Spione senden, um zu kundschaften. Nicht dich, einen Gelehrten und Geschichtenweber, dem man bereitwillig Auskunft erteilt.«
Carmondai musste keinen Herzschlag lange zögern. »So sei es.«
Die Albin leitete ihn durch Weydenwog. Dabei passierten sie eine der Hebevorrichtungen. Große Räder, die von Tieren und Barbaren gleichermaßen angetrieben wurden, waren über Umlenkrollen, Zahnkränze und Ketten gekoppelt.
Die vereinten Kräfte übertrugen sich auf eine gewaltige Trommelwinde, auf der sich eine Kette befand, deren Glieder die Länge eines Albs und die Dicke eines Armes betrugen. Sie wurde langsam abgewickelt, dabei blieb der Pfeifton beständig.
»Würden wir die Anker einfach fallen lassen, wäre auch hier die Wucht des Rucks zur groß«, erklärte Morana. »Zuerst schleifen sie kaum merklich über den Grund und vermindern die Geschwindigkeit der treibenden Stadt, bis ihnen erlaubt wird, sich am Boden einzuhaken. Solange das Signal noch zu hören ist, wissen die übrigen Hiever, dass das Ablassen noch nicht beendet ist.«
Die dunklen Pfeiftöne verstummten, sogleich erklangen hellere.
Morana zog ihn weiter. »Komm. Sei mein Gast, geschätzter Mimenfreund«, sagte sie neckend. »Welches Stück führen wir auf?«
»Oh, mir gehen gerade so vielerlei Gedanken durch den Kopf, wir würden in zehn Teilen der Unendlichkeit ein neues Stück nach dem anderen geben«, antwortete Carmondai lachend und kam vor einem großen Gartentor zum Stehen. Dahinter wurde ein stattliches Herrenhaus sichtbar, das vollständig aus dicken Steinquadern errichtet zu sein schien.
Morana öffnete das Tor und führte ihn über einen Kiesweg zur doppelflügeligen Eingangstür. »Hier wohne ich mit meinem Gemahl.« Sie klopfte dagegen, und ein stoppliges Männergesicht wurde gleich darauf hinter einer Gucköffnung sichtbar.
»Herrin!«, rief der Barbar und riss den Eingang auf, verneigte sich. Er hatte sich einen langen Mantel über das Nachthemd geworfen, die Füße steckten in Sandalen. Die Haare standen wirr von seinem Kopf ab.
»Ist der Hausherr zugegen?«, fragte sie.
»Noch nicht, Herrin. Aber die Kleinen werden sich freuen. Wir rechneten erst morgen mit Eurer Rückkehr.«
»Ich traf, wie es die Götter wollten, einen alten Freund, Dendûwain von Osant. Und ich musste ihm einfach zeigen, wie man in Weydenwog lebt. Er stammt aus
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