Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
hier war noch zu schwach, um sich auf die Schnelle die Hülle eines Albs zu geben, zumal sie die Feingliedrigkeit unseres Volkes nur schlecht nachahmen können.«
Ich unwissender Narr. Gàlaidon blieb in der knienden Haltung, um die Bestrafung für seine Torheit zu erfahren.
Virssagòn schwenkte die noch immer heiße Klingenspitze langsam auf ihn zu. »Du willst dich nicht herausreden?«
»Wozu? Ich beging einen Fehler«, erwiderte Gàlaidon zerknirscht. »Mit welchem Grund könnte ich mich verteidigen? Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, heißt es.«
Der Meistermörder senkte das Schwert weiter, die Wärme wallte gegen die Gesichtsmaske und durchdrang den dünnen Stoff. Fast schien es, als wollte er das Metall gegen die Wange drücken.
Gàlaidon atmete tief ein und erwartete den Schmerz.
Aber nichts geschah.
»Und schon wieder staune ich«, sagte Virssagòn nach einer Weile gedämpft. »Nicht nur, dass du die ungewöhnlichsten Mitbringsel aus den Taschen ziehst, du gestehst auch einen Fehler ein. Ohne einen lahmen Versuch, dir eine Ausrede einfallen zu lassen.« Virssagòn zog die Waffe zurück und hielt sie am langen Arm nach unten, die Spitze brannte einen dunklen Fleck in das Gebein. »Gehe nun in dein Quartier. Dort erwarten dich Stärkung und ein Heiler, der deinen Körper eingehend untersucht, um zu sehen, wie es dir in der Ödnis ergangen ist. Auch dein Zustand spielt in meiner Beurteilung eine große Rolle. Wie bei den anderen auch.« Er drehte sich zum Eingang. »Danach erwarte ich dich zum Mahl. Du sollst sehen, was die anderen brachten.«
Gàlaidon nickte, wurde jedoch unruhig. »Ich danke dir.« Er wollte zu Ahisiá, er hatte keine Sorge um sein Wohlbefinden. »Darf ich einen Wunsch äußern?«
Der Meistermeuchler hielt inne, als könnte er es nicht glauben. »Einen Wunsch?«
»Ich … möchte zu meiner Gefährtin, so schnell, wie es irgendwie geht. Vergib mir, wenn ich die Begutachtung durch die Heiler auf morgen verschieben und das Essen ausfallen lassen möchte.« Er sah zu Phainòri und Weïdori. »Ich denke, die Freude über ein gemeinsames Essen hält sich bei ihnen nicht minder in Grenzen.«
Virssagòn lachte. »Dieser Wunsch sei dir ausnahmsweise deiner Verdienste wegen gestattet. Doch ich erwarte dich morgen früh zurück. Bei Sonnenaufgang gehen die Lektionen weiter.« Er verschwand im Haus, die Anwärterinnen folgten ihm.
Gàlaidon sprang auf und rannte die Stufen hinab, schwang sich in den Sattel und gab dem Stier die Sporen. Ein Hoch auf meine Taten!
In wilder Hatz ging es zum Tor hinaus, und unterwegs konnte der blonde Alb nicht anders, als seine Vorfreude laut hinauszuschreien.
Schon von Weitem sah Gàlaidon Ahisiás Haus, mit seiner wundervollen Holzfassade, die künstlerischer, eleganter und weniger kriegerisch als Virssagòns Gebäude gestaltet war. Seine Maske hatte er kurz vor der Stadt abgezogen.
Ich kann es kaum erwarten.
Zu seinem Leidwesen brannte in Ahisiás Gemach kein Licht. Entweder war sie nicht da, oder sie schlief bereits. Ich wecke sie. Der Schlaf wird sie nicht von mir und meiner Liebe abhalten.
Er dachte drüber nach, den Glockenzug zu betätigen, doch er entschied sich für die größere Überraschung.
Gàlaidon zügelte den Feuerstier, band ihn an einem Stützpfeiler vor den drei Treppenstufen aus Marmor an, umrundete das Anwesen und schwang sich mit traumwandlerischer Sicherheit an der Mauer hinauf, um über den Balkon ins Haus zu schleichen.
Von dort huschte er die Galerie entlang bis zu Ahisiás Tür, öffnete sie und betrat den dunklen Raum.
Das durch die Fenster fallende Licht genügte ihm, um zu erkennen, dass die Albin nicht da war. Ihr Bett lag unberührt zu seiner Rechten, die meisten ihrer Habseligkeiten fehlten.
Gàlaidon runzelte die Stirn. Ist sie verreist? Womöglich ein Ruf an eine andere Akademie?
Er öffnete die Schränke und sah nichts als Leere. Es gab nicht einmal mehr die kleinen Dinge, die Ahisiá immer so liebte, wie die Eiskristall-Orchidee oder den immer blühenden Zweig der Giftrose.
Das beunruhigte ihn.
Verlor sie ihr Herz an einen anderen? Der Gedanke versetzte ihm einen Stich. Sicherlich, jede Albin und jeder Alb war frei, sich neu zu binden. Doch er hatte es ernst gemeint, als er von der Geburt eines Nachkommen sprach.
Ihm fiel ein, dass er nicht wusste, was Virssagòn in seinem Namen als Erklärung für seine Abwesenheit hatte ausrichten lassen.
Seine Kehle war trocken, Aufregung und Unruhe hielten ihn
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