Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Caiphôras Arm frei. »Wir sind in Ishím Voróo. Hier ist alles möglich.« Er lauschte auf die letzten Echos, sein Antlitz zeigte die Sorge. »Wir ziehen uns zurück.«
Caiphôras Blicke huschten zu Yágôras und Raikânor, die ihren Benàmoi anstarrten, als hätte er befohlen, ein Schlaflied anzustimmen. Sie werden klug genug sein, den Mund zu halten.
Die Goldstählerne Schar nahm die Rautenformation ein und eilte den Weg zurück, den sie gekommen war.
Das Rumpeln und Donnern begleitete sie, wurde heftiger – und unvermittelt flog ihnen eine grauschwarze Staubwolke auf dem gewundenen Pfad entgegen.
»Windgeschwister, Glocke bilden!«, schrie Ewìlor, und die Einheit schloss sich wieder zu der kleinen Festung zusammen, nur dass dieses Mal die Schilde wie eine Abdeckung genutzt wurden und übereinanderlappten.
Eine zweite Steinlawine. Caiphôra kauerte sich hinter die Wand aus Metall und Holz, machte sich möglichst klein und wünschte sich, Fhòrinaî in ihrer Nähe zu haben.
Die Wolke aus Dreck schoss heran und umströmte die Goldstählernen, presste sich durch die kleinsten Öffnungen, die sie finden konnte, und überzog die Albae mit einer mehligen, dünnen Schicht. Caiphôra schmeckte den zermahlenen Felsen in ihrem Mund und widerstand dem Drang, auszuspucken.
Es dauerte lange, bis die Wolke sich verzogen hatte und Ewìlor den Befehl gab, behutsam die Schilde zu lüften.
Die Luft kribbelte aufgeladen. Blaue und grüne Blitze zuckten zwischen den Felswänden hin und her, vereinzelt stießen sie ganz in der Nähe der Goldstählernen in den Boden und hinterließen schwarze Brandflecken.
Magie umgibt uns . Caiphôra hielt ihr Schwert fest und sah den haushohen, menschlichen Schemen, der sich auf dem Pfad vor ihnen erhob.
Er war dünn und wirkte zerbrechlich, die überlangen Ärmchen streichelten zärtlich die Bergflanken, was erneute Entladungen zur Folge hatte.
Geht die Kraft von ihm aus oder macht er sie sich zunutze?
»Benàmoi«, raunte Caiphôra, um ihn auf ihre Entdeckung aufmerksam zu machen.
Ewìlor hob den Kopf und starrte auf das ausgemergelte Wesen.
Die Albin wusste sofort, dass er keine Ahnung hatte, was sich auf sie zubewegte. Es konnte ein ausgehungerter Troll oder aber jener Dämon sein, von dem sie gelesen hatte. Aber kein Scheusal beherrscht Magie.
»Fordert das Ding nicht heraus. Los, in den Seitengang«, befahl er. »Wir schlagen uns über Umwege aus diesem Irrgarten. Ich fürchte, dieses Wesen zieht seine Kraft aus dem Gestein.«
Die Einheit lief los.
Das Wesen folgte ihnen, während das Kribbeln um sie herum zunahm. Harmlose, farbige Flämmchen umspielten die Klingen und Helme, tanzten über die Schilde.
Nahm Caiphôra die Erscheinungen anfangs nur zur Kenntnis, steigerte sich das beißende Gefühl auf der Haut alsbald zu einem spürbaren Stechen, wie von unzähligen feinen Nadeln.
Aus den Nadeln wurden Nägel, dann scharfe Klingen.
Caiphôra geriet kurz ins Straucheln, als sich ein Stich durch ihren Unterschenkel bohrte. Sie zog vor Pein die Luft ein, blickte auf ihr Bein, das äußerlich keine Wunde zeigte. Gegen einen solchen Feind nützte auch das Kriegswissen der Goldstählernen nichts. Welche Macht es auch ist, die uns verfolgt, wir können ihr nichts entgegensetzen. Ewìlor tut gut, den Rückzug zu suchen.
Und der dürre, lange Schatten folgte ihnen unbeirrt auf seinen hageren Beinchen.
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), nördlich des Albaereichs Dsôn Faïmon, 4370. Teil der Unendlichkeit (5189. Sonnenzyklus), Winter
Haïmoná blickte vom Wehrgang der Inselfestung Acht-Fünf sinnierend auf das dahintreibende Wasser, auf dem die Schneeflocken landeten und sich sofort auflösten.
Die Strömung verhinderte zusammen mit den überschweren, klingenbesetzten Ketten, die im Winter von den Brücken gelassen wurden, dass große Eisschollen entstanden und der Graben zufror. Andernfalls hätten Angreifer leichtes Spiel gehabt, nach Dsôn Faïmon einzudringen.
Machte es ein harter Winter erforderlich, kamen besonders schwere Schleppboote zum Einsatz, welche die Schollen mit ihren keilförmigen Rümpfen zerbrachen und das Vereisen verhinderten.
Die Eintönigkeit kam Haïmoná zupass. So konnte sie in Ruhe überlegen, wie sie Caiphôra zurückgewinnen und in die Goldstählerne Schar zurückkehren könne. Das Befehligen der Wachmannschaft fiel ihr nicht schwer. Es ging nur darum, darauf zu achten, dass jeder seine Aufgabe erfüllte. Bislang waren all ihre Nachrichten an die
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