Die Legenden der Albae: Die Vergessenen Schriften (German Edition)
Elbinnen, alle verdreckt und teilweise verletzt, wie sie an den Haltungen zu erkennen glaubte; die Schilde und Harnische wiesen Dellen auf, kaum eine hielt noch eine Lanze in den Händen. Die Schwächung war offenkundig.
Horgàta dagegen befehligte fünfhundert Albae. Niemals war das Kräfteverhältnis günstiger gewesen, so tragisch der Verlust anmutete.
»Weiter«, schrie sie hasserfüllt. »Gleich haben wir sie vor unseren Klingen!« Sie trieb ihrem Nachtmahr die Fersen in die Flanken und nahm die halsbrecherische Hatz auf, um den Feinden keinen Vorsprung zu gönnen.
Die Vorhut unter Ecatòn folgte ihr unverdrossen. Die Albae zogen an Narósil vorbei.
Bald neigte sich der Pfad, und sie erreichten sicheren Boden.
Vor dem Ausgang aus der Schlucht breitete sich ein Tal aus, in dessen hinterem Bereich sich ein stattlicher Wald mit gigantischen Bäumen erhob; die Stämme ragten an die zweihundert Schritte in die Höhe und besaßen ausladende Äste von der Dicke einer herkömmlichen Rotrindentanne. Der leichte Abendwind trug den Geruch von ergrünendem Gras mit sich.
Horgàta ließ zweihundert Krieger absitzen und die Bogen zur Hand nehmen, zweihundert befahl sie in Bereitschaft, hundert hielt sie als Reserve zurück.
Stumm und gehorsam wurde die Aufstellung eingenommen. Die Albae erwarteten die Ankunft ihrer Todfeinde und das letzte Gefecht. Es gab keinerlei Rückzugsmöglichkeit für Narósil.
Ecatòn begab sich an ihre Seite, einen langen Bogen und einen Pfeil in den Händen, der gefüllte Köcher baumelte am Hals des Nachtmahrs. »Ein denkwürdiger Moment der Unendlichkeit«, sprach er ergriffen.
»Das wird er bald sein«, erwiderte Horgàta. Sie freute sich auf das Gefecht, auf das Töten, auf das Ausbeinen. Und die Rückkehr nach Tark Draan. Dort würde man den Gefallenen gedenken, indem man aus den Knochen der Besiegten einen Altar zu deren Ehren anfertigte. Sogar für Darinór.
Zunächst geschah nichts.
Dann ritt eine einzelne, staubbedeckte Panzerreiterin aus dem Zugang der Schlucht, die ein weißes Stück Stoff an die Lanzenspitze gebunden hatte. Die Elbin kam behutsam näher und näher; grauweiße Dreckschlieren lösten sich von ihrem Harnisch und schienen einen gespenstischen Mantel zu bilden, der hinter ihr her wehte.
»Soll ich sie …«, hob Ecatòn an und machte sich bereit, die Sehne mit dem Pfeil darauf zu spannen.
»Nein«, hielt Horgàta ihn zurück. »Wenn wir sie erledigen, trauen sich die anderen nicht heraus.«
Die Nachtmahre nahmen die Witterung der Feindin auf, schnaubten begierig und bleckten die scharfen Zähne. Sie stampften auf, Blitze zuckten.
Horgàta lächelte kalt. Es musste für die Elbin ein furchterregender Anblick sein, auf eine Wand aus Schwärze und rotglühenden Augen zuzukommen. Sie machte sich bereit, ihre albischen Kräfte einzusetzen und den Eindruck für die Unterhändlerin zu verstärken.
Die Elbin hielt fünfzig Schritte vor der Linie der Albae an und senkte ihre lange Waffe. Ein Zeichen, dass sie jemanden zum Unterreden erwartete.
Was wirst du mir anbieten? Horgàta tat etwas Unvernünftiges: Ehe Ecatòn sie zurückhalten konnte, jagte sie auf die Feindin zu und bremste ihren Nachtmahr kurz vor der aufblinkenden Spitze, die sie mit einem ihrer Kurzschwerter zur Seite schlug.
Sie ritt sogar weiter, um dicht vor der Elbin anzuhalten. »Was immer Narósils Begehr ist«, sprach Horgàta harsch, ohne die Unterhändlerin zu Wort kommen zu lassen, »ich will seinen Kopf auf« – sie pochte mit der Klinge gegen den Schaft – » dieser Lanze sehen. Dann können wir über alles andere verhandeln.«
»Ich …«, setzte die Elbin empört an.
»Er hat das Schicksal seiner Kriegerinnen in der Hand: Weigert er sich, werden alle sterben. Geht er freiwillig in die Endlichkeit, wird er viele von euch retten.« Bewusst vermied sie es, eine genau Zahl zu nennen. Horgàta dachte ohnehin nicht daran, auch nur eine einzige Gegnerin zu schonen. Der Gedanke, mit ihrem Vorschlag einen Seelenkampf in Narósil ausgelöst zu haben, bereitete ihr unsagbare Freude. »Er kann unter Beweis stellen, was er für euch bereit ist zu tun.« Sie zeigte mit dem Schwert zur Schlucht. »Nun entscheidet selbst, was geschehen wird.« Sie wendete den Nachtmahr auf der Hinterhand und kehrte zu ihren Truppen zurück.
Ecatòn sah sie an. Er hatte Pfeil und Bogen nicht aus den Händen gelegt. »Was haben sie geboten, um ihre Knochen vor uns zu retten?«
»Ich ließ ihr keine Gelegenheit, ein
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