Die Legenden der Albae: Dunkle Pfade (German Edition)
Blutschattengras, mit harten Halmen vom Durchmesser eines kleinen Fingers. Nach einem Sonnenauf- und -untergang gewinnen sie bereits eine Handbreite an Länge und durchdringen dabei sogar dünnes Holz. Denkst du, deine Haut kann es aufhalten?« Aïsolon nickte. »Finden wir es heraus. Dich werde ich über das Schattengras binden lassen und zuschauen, wie es durch dich hindurchwächst.«
»Weil es langsam geht, wirst du vermutlich lange leben und die Schmerzen fühlen, wenn die Knospen in dir aufgehen«, fügte Gàlaidon hinzu. »Ich versuchte es einmal mit einer Ratte und mit einem Óarco. Beide Biester lebten elf Teile der Unendlichkeit, bis sie starben. Ihre Rücken sahen aus, als wären sie der Boden eines Gartens geworden.«
Wènelon blickte erneut zur Albin, die drohende Verwünschungen ausstieß. »Ich … ich«, stammelte er und riss sich endlich von ihrem einschüchternden Blick los. »Ich muss darauf bestehen, dass du mich schützt, Statthalter. Mich und meine Familie.«
»Halt dein feiges Maul«, rief Acòrhia, woraufhin Gàlaidon zuschlug. Der Hieb riss ihr die Lippen auf, aber sie kämpfte sich sogleich auf die Knie. »Du darfst nichts verraten! Niemand kann dich beschützen, nicht einmal er!«
Ich wusste, dass er einbricht. Aïsolon lächelte triumphierend. »Ich garantiere dir, dass ihnen nichts geschehen wird.«
»Das kann er nicht halten«, warf die Geschichtenweberin ein. »Der Attentäter ist in Dsôn und hat seine Anweisungen.«
Hat sie Angst? »Dann pfeife ihn zurück«, herrschte Aïsolon sie an. »Ich schwöre dir, dass du nicht mehr lebend aus meiner Festung gelangst, wenn du dich weigerst.«
Jetzt lachte die Acòrhia leise und verzweifelt zugleich. »Als ob ich das könnte.«
»Natürlich kann sie es«, rief Wènelon aufgeregt dazwischen. »Diese Heuchlerin! Sie hat mit ihm gesprochen. Ich sah sie doch! Er stand bei der Übergabe des Geldes mit dem Rücken zu mir, also muss sie sein Antlitz gesehen haben.«
»Bei der Übergabe des Geldes?« Aïsolon und Gàlaidon tauschten kurze Blicke. »Demnach seid ihr für eure falsche Aussage gegen meine Kinder bezahlt worden?« Er schrieb rasch auf ein Blatt, dass man die übrigen fünf Gefangenen unbemerkt in die Amtsstube bringen sollte, und sandte einen Gardisten damit hinaus. »Wie viel bekamt ihr?«
»Du wirst eines Morgens nicht mehr erwachen, weil er dich umbrachte«, flüsterte Acòrhia, zog die Nase hoch und spuckte Blut und Rotz aus. »Du Schwächling hast den Tod verdient! Ich hoffe, er verschont mich.«
Jetzt fallen die Steine aus der Mauer des Schweigens. Aïsolon freute sich und spürte eine erste Erleichterung. Er bekam Aussagen, die ihn näher an die Fädenzieher brachten. Sie wird die Einzige sein, die schweigt. Er sah, wie die Tür vorsichtig aufschwang und die Gefangenen hereingeschoben wurden. Weder Acòrhia noch Wènelon bemerkten es. Sehr gut. »Dann erzähle uns, Wènelon, was sich zugetragen hat.«
»Wir trafen bei Sémaina ein, und der Abend begann angenehm. Aber dann erschien Sisaroth und beschimpfte unsere Gastgeberin, die es lachend als Scherz hinnahm …«
Aïsolon hob die Hand. »Du sollst mir die Wahrheit erzählen. Nicht die Version, die ihr abgesprochen habt.«
»Bis dahin verlief es aber so«, beharrte Wènelon. »Sie rangelten miteinander. Es war harmlos. Sisaroth wurde hinausgeworfen, und dabei nahm sein Hemd Schaden. Auch ein Talisman, den ihm seine Schwester geliehen hatte, blieb zurück. Das wurde später als Beweis gegen ihn und Firûsha eingesetzt, weil man wusste, dass du als ihr Vater die Gegenstände erkennen musstest.«
Abgefeimtes Pack, aber schlau eingefädelt. Er spielte wieder mit dem Zahnstück der Geschichtenweberin. »Weiter, weiter!« Seine Ungeduld wuchs. Der Ablauf war zwar wichtig, doch er wollte endlich eine Beschreibung des wahren Schuldigen. Wer könnte das Komplott erdacht haben?
»Kaum hatten sich alle beruhigt, sprang ein Vermummter von der Decke. Er musste im Schatten gewartet haben. Er tötete Sémaina mit mehreren Dolchstichen. Es ging alles zu schnell, und wir waren überrumpelt … und hatten schon etwas getrunken«, verteidigte sich Wènelon. »Er warf Acòrhia einen Sack zu, in dem sich Tioniummünzen befanden, wie sich herausstellte. Dann rannte er hinaus, um die restlichen Familienmitglieder zu töten.« Er zeigte auf die Geschichtenweberin. »Sie erklärte uns, dass jeder von uns fünfzig Münzen erhält, wenn wir die falsche Geschichte in Dsôn erzählen, die wir
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