Die Legenden der Albae - Vernichtender Hass
einfach
war.
Caphalor
war aus seiner Schriftstellersicht die interessantere Figur in dem Epos,
vielschichtiger, von Gefühlen getrieben und doch ein Gefangener seines
Schmerzes, unfähig, sich daraus zu befreien. Carmondai hatte gehört, dass es
zwischen ihm und Morana einen heftigen Streit gegeben hatte. Seitdem befand sie
sich auf Reisen und ward nicht mehr gesehen. Dabei hätte ich
geglaubt, sie mögen sich. Es wäre zu schön gewesen, wenn sie ihm seine Pein
hätte nehmen können. Dagegen verblasste Sinthoras, dessen Antrieb einzig
unstillbarer Ehrgeiz war. Welchen Ausgleich hast du für
Caphalor vorgesehen, Samusin? Er hätte Gutes verdient.
Der
schwarzhaarige Alb saà reglos auf dem Stuhl, eine Träne rann über die rechte
Wange und glitzerte im Kerzenschein. Ihr folgte langsam eine dunkle Wutlinie,
als würde sie vom Tropfen gemalt und zerschnitte das Gesicht.
Erschütternd. Wundervoll! Carmondai zeichnete ihn, und mit
jedem Strich wuchs sein Mitgefühl. Auch wenn er das Bild vielleicht niemals
jemandem zeigen durfte, um die Schwäche des Helden nicht zu verraten, er musste
das Motiv auf Papier bannen.
Kurz
vor der Vollendung näherten sich kaum wahrnehmbare Schritte dem Eingang. Ein
Gerüsteter trat in den Raum und blieb genau vor einer Lampe stehen. Sein
Schatten wurde auf Caphalors Antlitz geworfen.
»Geh
zur Seite«, schnarrte Carmondai. »Du verdirbst mir das Licht.« Aus den
Augenwinkeln erkannte er, dass es eine Albin war.
Die
Gerüstete gehorchte schweigend.
Nach
der letzten Handbewegung richtete sich Carmondai auf und betrachtete das Werk. Es ist ⦠genau wie es sein sollte! Jeder Betrachter wird ihm sofort
beistehen wollen. Begeistert von seiner Arbeit lächelte er und atmete
zufrieden aus, bevor er den Kopf drehte und zur Tür sah, wo eine Albin in einem
schweren, dicken Mantel wartete und ihren Blick fasziniert auf Caphalor
gerichtet hielt. »Was wünschst du?«
»Ich
habe gehört«, sagte sie mit einer tiefen, vibrierenden Stimme, »dass sich hier
Carmondai und Caphalor aufhalten sollen.« Der Blick ihrer hellen Augen haftete
noch immer auf dem schwarzhaarigen Alb, der nicht reagierte.
»Du
hast uns gefunden.« Carmondai musterte sie. »Noch eine Botin mit den besten
Wünschen der Unauslöschlichen?« Ihm war nach bitterbösen Kommentaren, und es
scherte ihn nicht, was sie deswegen über ihn dachte.
»Nein.
Ich wollte euch beide kennenlernen. Denn ihr seid wichtig, sagte man mir.«
Daraufhin wandte sie ihren Blick langsam auch ihm zu. »Ich bin Imà ndaris.«
»Ah,
die Tochter von Yantarai der Künstlerin!« Carmondai witterte Ungemach. Ich soll ebenso abgelöst werden! Das Herrscherpaar möchte nicht,
dass ich zu viele Wahrheiten erfahre. Dazu fiel ihm ein, dass Sinthoras
etwas mit ihrer Mutter angefangen hatte, bevor er sich mit TimÄnris vergnügte. Es ist kein Zufall, dass man ausgerechnet sie schickt! Sinthoras
soll noch mehr Demütigung erfahren.
Sie
neigte den Kopf und warf das lange rotgelbe Haar nach hinten. »Ich ahnte, dass
du als Meister des Wortes und der Zeichenkunst meine Familie kennst. Das ehrt
mich.«
»Es
ist schön, dass du uns schmeicheln möchtest. Dann lass dir gesagt sein«,
Carmondai hob mit Nachdruck die aufgeschlagene Kladde, »dass ich derjenige bin, der die Schlachten und Ereignisse von
Tark Draan niederschreibt und zeichnet!«
»Niemand
könnte es besser, Carmondai.« Imà ndaris schenkte ihm ein knappes Lächeln. »Und
bevor deine Gedanken in eine falsche Richtung gehen: Ich bin die Nostà roi.«
Carmondai
klappte das Kinn herab, und Caphalor riss die Augen auf.
Tark Draan (Geborgenes
Land), südlich des Grauen Gebirges, Zauberreich Hiannorum, 4371. Teil der
Unendlichkeit (5199. Sonnenzyklus), Spätherbst
Morana
saà Hianna der Vollendeten gegenüber und musste sich gegen Schauder wehren.
Nicht,
weil sie Angst hatte oder es ihr zu unheimlich in dem Saal erschien. Oder wegen
des blutroten, aufwendig bestickten Kleids, das Hianna trug und das lange weiÃe
Ãrmel und eine kescherartige Kapuze hatte. Es sah nicht schlecht aus.
Sondern
weil sie diesen Zuckerguss, dieses SüÃliche und das, was Barbaren unter Einklang verstanden, schwer ertrug.
Die
Maga hatte eine Vorliebe für Niedliches: Ganz Hiannorum schien daraus zu
bestehen. Sogar das Korn auf den Feldern und die Friedhöfe, auf denen
Weitere Kostenlose Bücher