Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
konnten, und trieb uns ohne Angabe von Gründen den Berg hinauf.
Er hatte sein Pistolenhalfter umgeschnallt und trug sein Gewehr und einen großen Rucksack mit Ausrüstung. Es wurde zwar gerade hell, doch im Nebel ließ sich nur schwer etwas erkennen.
»Wohin gehen wir?«, maulte Venus.
»Fragen kannste später. Schlepp einfach das Zeug.«
»Ich kann nicht! Es ist zu schwer!«
»Dann gib’s Egbert.«
Sofort warfen mir Venus und Adonis ihre Last über. Als ich die anderen schließlich am Felsen des Verderbens einholte, zitterten mir die Knie von der Anstrengung. Dad hatte dort auf einem grob gemauerten Wall mit Ausblick über das Meer Richtung Nordwesten eine einzelne Kanone deponiert. Wir halfen ihm, sie zu laden – ich weiß nicht, warum, denn dem Schlachtengetümmel nach zu urteilen, das wir durch den Nebel toben hörten, waren wesentlich mehr Schiffe beteiligt, als eine Kanone jemals aufhalten konnte. Doch Dad ließ sich nicht davon abbringen. Danach saßen wir rum und warteten, während die Schlacht immer lauter und furchterregender wurde.
»Wer kämpft’n da?« Zum ersten Mal, seit ich mich erinnern konnte, interessierte sich Adonis für etwas.
Dad hing über den Wall gebeugt und stützte die Ellbogen auf, um sein ramponiertes Messingfernglas ruhig zu halten, während er mit zusammengekniffenen Augen durch die Linse in den Nebel spähte. »Keine Ahnung. Cartagische Marine, so viel is klar. Bin aber nich sicher, wer die gerade in die Mangel nimmt. Vielleicht ’n paar echte Rovier … Aber ich glaub eher, das sind die Piraten.«
»Und die Cartagier kommen hierher?«
»Hierher oder nach Morgenröte. Eins von beiden.«
»Was wollen die hier? Das ganze Silber is doch auf Morgenröte.«
»Ja. Aber die Geldsäcke auf Morgenröte klauen kein cartagisches Gold. Die Piraten auf Dreckswetter allerdings schon länger, als du auf der Welt bist. Vermutlich haben sich die Kurzohren in den Kopf gesetzt, dem ein Ende zu machen. Und Galgenhafen ein für alle Mal plattzumachen.«
Außer wenn er uns herumkommandierte, redete Dad normalerweise nicht viel – dass er sich die Mühe machte, uns etwas zu erklären, war deshalb fast so beunruhigend wie das, was er sagte. Venus sah aus, als würde sie jeden Moment losflennen. »Sie bringen uns doch nicht um, oder?«
»Wüsste nich, warum nich«, sagte Dad.
»Ich will nicht gefressen werden!«, schrie sie. Keine Ahnung, wie sie auf die Idee kam, die Cartagier wären Kannibalen.
Dad schien das auch nicht zu begreifen. Er wandte den Blick vom Fernglas ab und musterte sie mit gerunzelter Stirn. »Ach was, die essen dich schon nich. Schlitzen dir bloß die Kehle auf.«
Als sich am späten Vormittag der Nebel lichtete, erhaschten wir am Horizont endlich einen Blick auf die Schlacht – zwei gewaltige cartagische Kriegsschiffe und fünf Zweidecker-Galeonen gingen auf gerade mal vier Eindecker-Piratenschaluppen los. Durch den Rauch, der sie einhüllte, blitzten Mündungsfeuer.
»Gefällt mir nich«, brummte Dad, sein Gesicht legte sich in noch grimmigere Falten als sonst. »Is doch unfair.«
Doch im Laufe der Stunden wurde klar, dass sich die Piraten ganz tapfer schlugen. Bevor auch nur eine ihrer Schaluppen sank, waren bis auf zwei sämtliche cartagische Galeonen untergegangen, und als das erste der riesigen Kriegsschiffe am frühen Nachmittag kenterte, gab Dad – der das Auge stundenlang nicht vom Fernglas genommen hatte – ein überraschtes Schnauben von sich, das sich fast wie Lachen anhörte.
Bei Sonnenuntergang war alles vorbei. Das letzte Kriegsschiff war niedergebrannt und gesunken und die übrig gebliebene cartagische Galeone geentert und gekapert. Das Schiff kroch hinter den zwei Piratenschaluppen, die den Kampf überstanden hatten, nach Galgenhafen zurück. Als Dad uns wieder zum Haus hinunterführte, war er in so aufgekratzter Stimmung, dass er vor sich hin pfiff.
Wir wollten gerade ins Bett gehen, da hörten wir von Galgenhafen Geschützfeuer. Venus bekam Panik und rannte auf die Veranda, wo Dad es sich mit einer Flasche Rum gemütlich gemacht hatte.
»Sind das die Cartagier?! Kommen sie jetzt doch, um uns zu fressen?«
Dad legte den Kopf schief und lauschte. »Ach was. Das is keine Invasion – das is ’ne Party.«
»Eine Party? Echt? Können wir da hingehen?«
»Nee, Püppi. Piratenpartys sind nix für Nichtpiraten.«
Noch eine Woche später hielt Venus mehrmals am Tag inne, um einen freudigen kleinen Seufzer auszustoßen und zu erklären:
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