Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
verdutztes Gesicht. »Was?«
Mein Gesicht fing zu glühen an. »Das ist nicht wahr!«
»Und wie das wahr ist!«, mischte sich Adonis ein. »Er hat sie heute vor dreizehn Jahren umgebracht. Auf den Tag genau.«
»Hab ich nicht! Sie ist – bloß –« Ich fühlte mich mit einem Mal zittrig und schwach, als wäre mein Magen ein Strudel, der sämtliche Energie aus meinem Körper saugte. Doch da Millicent mich anstarrte, musste ich die Worte irgendwie herausbringen.
»Ich bin bloß auf die Welt gekommen. Und dabei ist sie gestorben. Bei meiner Geburt. Es war nicht meine Schuld.«
»Natürlich war es das! Du bist ein Mörder!« Venus fletschte die Zähne wie ein wildes Tier.
»Ich war ein Baby! Ich bin bloß auf die Welt gekommen!«
»Du bist ein Monster«, zischte Adonis.
»Bin ich nicht!«
Ich drehte mich von den anderen weg, denn ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, und ich wollte nicht, dass sie das sahen.
Während wir auf Millicents Reaktion warteten, war es einen Moment still – als wäre sie die Richterin, die mich entweder hängen lassen oder freisprechen würde. Schließlich stellte sie mit ruhiger Stimme fest: »Das ist kein Mord. So etwas kommt nun mal vor.«
Ich drehte mich zu ihr um. Sie starrte mich an. Ohne zu lächeln, aber auch nicht unfreundlich. Während der Strudel in meinem Magen langsamer wurde, sah sie mich fragend an.
»Moment mal. Wenn es bei deiner Geburt passiert ist … hast du dann nicht heute Geburtstag?«
Ich nickte, doch in diesem Moment bog Pembroke um die Ecke und klatschte in die Hände, um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen.
»Millicent! Ich habe mir überlegt, unsere Gäste zu einer Ballonfahrt einzuladen. Was hältst du davon?«
»Oh, genial, Daddy! Das wird ihnen gefallen!«
Ich hatte geglaubt, ich wüsste, was ein Ballon ist. Eine der schlimmsten Geschichten in Percys Büchersammlung hieß Die Wilden von Urluk und handelte von einem herumwandernden Stamm von Höhlenmenschen. Einmal erlegen sie einen Steinbock, und nachdem sie den größten Teil roh verschlungen haben, reißt der Vater die Eingeweide heraus und knotet die Enden zusammen, so dass seine Kinder einen Ballon zum Spielen haben.
Pembrokes Ballon war eine völlig andere Nummer, und das nicht nur, weil er nicht aus Eingeweiden, sondern aus roter Seide bestand. Er war so groß wie ein Haus – allein die Öffnung auf der Unterseite maß zehn Meter im Durchmesser. Vier Diener pumpten mit zwei riesigen Blasebälgen von der Größe von Zugpferden Luft hinein. Nachdem sie fast eine Stunde lang mit aller Kraft gepumpt hatten, nahm der Ballon auf der Rasenfläche unterhalb von Pembrokes Villa allmählich Form an. Er sah aus wie ein riesenhaftes Schwabbelmonster.
Einen Meter weiter schürten andere Diener ein großes Feuer, über dem sie ein vierbeiniges Metallgestell platzierten. Darauf war das offene Ende eines langen Segeltuchzylinders befestigt, der über Fassreifen gespannt war und sich über den Rasen zum Ballon schlängelte und zusätzlich zur Luft aus den Blasebälgen einen unablässigen Strom heißen Qualms hineinpumpte.
Schließlich gab es noch die Gondel – sie war aus Weidengeflecht, über einen Meter hoch, fast zwei Meter lang und noch mal halb so breit. Der obere Teil des Korbs war mit schlaff herunterhängenden Seilen an der Ballonöffnung befestigt. An der Unterseite des Korbs wanden sich wesentlich längere Seile wie vier lange Schwänze quer über den Rasen und endeten in einer Seilrolle neben einem massiven Pfosten in der Erde.
Laut Millicent und Pembroke würden wir alle in die Gondel klettern, danach würde der Ballon aufsteigen und wir würden fliegen wie die Vögel. Keiner von uns nahm ihnen das richtig ab, denn auch wenn Millicent und Pembroke überzeugend klangen, konnte ich mich des Verdachts nicht erwehren, dass sie uns einen ausgeklügelten Streich spielen wollten.
Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen dachte Dad dasselbe. Dass Pembroke ihm nicht erklären konnte, wie die ganze Sache funktionierte, machte es nicht besser.
»Der Qualm ist entscheidend. Soweit ich es verstehe, hat Rauch bestimmte Eigenschaften, möglicherweise elektrische, die den Auftrieb bewirken. Wenn die Rauchmenge im Ballon ausreichend ist, erhebt er sich in die Luft und bleibt oben bis … was immer es ist … sich irgendwie … auflöst.«
Als er merkte, dass die Erklärung nicht zog, wandte er sich Hilfe suchend an Percy. »Mr Percy, Sie sind doch ein gebildeter Mann. Können Sie
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