Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
angestrengt über etwas nachdenken. Dann ging er wieder los, in dieselbe Richtung. Und nahm Pergament und Stift mit. Heute Morgen ist er dann mit uns hierhergefahren. Vermutlich, um mit dem Anwalt darüber zu reden.«
»Hat er sonst irgendjemandem davon erzählt?«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Er redet nicht viel. Mit niemandem.«
»Keine Geschäftspartner? Oder Freunde …?«
»Glaub nicht, dass er so was hat.«
»Was von beidem?«
»Beides.«
Nun lehnte sich Pembroke auf seinem Stuhl zurück, er musterte mich noch immer. Sein Blick machte mich nervös. Ich wusste nicht, ob ich zu viel gesagt hatte oder nicht genug.
Millicent mischte sich wieder ein. »Dad ist Experte, was den Feuerkönig anbelangt. Er hat tonnenweise Bücher über die Eingeborenen, und er hat ganz Morgenröte nach der Faust abgesucht.« Sie drehte sich zu ihrem Vater. »Was stand auf dem Pergament, Daddy? Gab es einen Hinweis auf –?«
Er fiel ihr ins Wort. »Da stand gar nichts, Millicent. Unverständliches Eingeborenenkauderwelsch.«
Dann lächelte er mich zu meiner großen Erleichterung an. »Danke, Egg. Jetzt ergibt alles einen Sinn. Millicent hat Recht – die Geschichte der Eingeborenen fasziniert mich. Es ist wirklich nicht leicht, die Wahrheit von den wilden Legenden über irgendwelchen magischen Plunder zu trennen, den es gar nicht gibt.«
»Seit wann bist du der Meinung, dass es den Schatz nicht gibt?«, fragte Millicent und zog die Nase kraus.
»Seit mein Denken gereift ist, Süße. Es macht großen Spaß, aber es ist Unsinn. Ein Märchen für Kinder.« Er lächelte mich wieder freundlich an. »Ich hatte den Eindruck, dass dein Vater ebenfalls großes Interesse an dem Thema hatte. Aber jetzt wird mir klar, dass es reiner Zufall war.«
»Sollen wir den Nachtisch auftragen lassen?«, schlug Mrs Pembroke vor.
»Oh ja!« Millicent beugte sich über den Tisch. »Mach die Augen zu, Egg – das wird dir gefallen.«
»Schätzchen, er braucht die Augen nicht zu schließen –«
»Aber natürlich, Daddy! Es ist eine Geburtstagsüberraschung! Stell dich doch nicht so dumm an.«
»Millicent«, sagte ihre Mutter in einem Ton, der diesem einen Wort die Bedeutung eines ganzen Satzes verlieh: Nenn-deinen-Vater-nicht-dumm-sonst-kannst-du-was-erleben.
»Mutter«, erwiderte Millicent, was bedeutete: Ich-sage-was-ich-will-da-kannst-du-dich-auf-den-Kopf-stellen.
Bei mir zu Hause hätte es dafür eine Tracht Prügel gesetzt. Mr Pembroke jedoch lächelte seine Tochter bloß amüsiert an. Mrs Pembroke runzelte die Stirn und sagte nichts.
»Komm schon, Egg! Sei kein Spielverderber.«
Ich kniff die Augen zusammen. Einen Augenblick später hörte ich, wie die Küchentür geöffnet wurde. Dann näherten sich Schritte. Es duftete unverkennbar nach Marmeladenkuchen. Scheppernd landete ein Blech auf dem Tisch.
»Gut, und jetzt – kannst du sie aufmachen!«
Vor mir stand ein duftender Marmeladenkuchen. Darauf war mit weißem Zuckerguss »Happy Birthday, Egg!« geschrieben.
Während ich verblüfft den Kuchen anstarrte, riefen sämtliche Pembrokes im Chor mit den drei Dienern, die sich im Zimmer befanden: »Alles Gute, Egg!«
Ich fing zu heulen an.
Es war schrecklich peinlich und dem Gesichtsausdruck der Pembrokes nach zu urteilen, war es mehr als befremdend für sie, aber ich konnte einfach nicht anders. Noch nie war jemand so nett zu mir gewesen. Ich hatte zwar schon vor langer Zeit gelernt, nicht wegen Schmerzen oder irgendwelcher Gemeinheiten zu weinen, aber mit Nettigkeit konnte ich nicht umgehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit heulte man deshalb nicht los, doch die Tränen rollten einfach und ich wusste nicht, wie ich sie aufhalten sollte.
Mrs Pembroke bekam es offensichtlich in den falschen Hals, jedenfalls stand sie auf, kniete sich neben meinen Stuhl und legte mir sanft die Hand auf den Arm.
»Mach dir keine Gedanken«, sagte sie. »Mein Mann ist sehr einflussreich und er wird alles tun, was in seiner Macht steht, um deine Familie zurückzubringen. Glaubst du mir das, mein Lieber?«
Ich nickte. Die bloße Erwähnung meiner Familie reichte, um meinen Tränenfluss zu stoppen.
»Danke«, sagte ich und wischte mir die Augen. »Können wir das jetzt essen?«
Ich sage nur so viel über den Marmeladenkuchen: Er war die dreizehn Jahre wert, die ich gewartet hatte, bis ich ihn endlich kosten durfte. Als sie mitbekam, wie gut er mir schmeckte, sorgte Mrs Pembroke dafür, dass es jeden Abend welchen gab. Während der ganzen Zeit,
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