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Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)

Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)

Titel: Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geoff Rodkey
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die ich in der Wolkenvilla verbrachte.
    Am Ende waren das drei ganze Wochen – die glücklichsten, unbeschwertesten Wochen meines Lebens. Sie waren so anders als alles zuvor oder danach, dass sie im Rückblick beinahe jemand anderem zu gehören scheinen. Ich verbrachte die Tage damit, Millicent wie ein Hündchen hinterherzulaufen: von den Unterrichtsstunden mit ihrem Hauslehrer zu Krocketpartien, ich folgte ihr zu Ausritten in den Hügeln im Schatten des Königsbergs und zu langen faulen Schmökerstunden in der Bibliothek. Die Bibliothek war mein Lieblingsplatz – sie war riesengroß, an den Wänden zogen sich Bücherregale entlang, die so hoch waren, dass man eine Leiter brauchte, um an die obersten Regalbretter heranzukommen. Gleich in den ersten Tagen entdeckte ich auf einem Brett ganz oben die Bücher über die Eingeborenen, die Millicent erwähnt hatte – ungefähr ein Dutzend, und obwohl sie größtenteils auf Cartagisch geschrieben waren, gab es auch einige Bände auf Rovisch. Wie zum Beispiel Stämme und Bräuche der Wilden und Über den Schlund: Cartagische Eroberungen in den Neuen Ländern . Ich wollte sie mir anschauen, weil ich hoffte, Mr Pembroke zu imponieren, wenn ich mich mit ihm über eines seiner Hobbys unterhalten konnte, doch die Leiter, die man brauchte, um an das Brett heranzukommen, war eines Tages verschwunden, und egal wie oft ich darum bat, die Diener schienen sie nicht wiederfinden zu können.
    Ich bin nicht ganz sicher, wo Percy während dieser drei Wochen steckte. In der Wolkenvilla rannten zahllose Diener herum – zwischen dem Haus, den Ställen, auf dem Grundstück und im Gewächshaus musste es Dutzende von ihnen geben –, doch sie blieben unsichtbar. Auch wenn sie überall in unserer Nähe herumwuselten, schienen sie sich doch in einer geheimen Welt aufzuhalten. Nach dem Verschwinden meiner Familie musste Pembroke Percy so geschickt in diese Welt abgeschoben haben, dass ich sein Fehlen kaum bemerkte.
    Als er eines Nachmittags neben mir im Stall auftauchte, erschrak ich deshalb ziemlich. Er trug eine Dienerlivree, hielt einen Striegel und hatte einen verschlagenen Gesichtsausdruck.
    »Master Egbert! Ihr seht gut aus. Das Essen hier ist vorzüglich, oder?«
    Ich war zu verdutzt, um zu antworten – nicht nur, weil er plötzlich wieder da war, sondern auch, weil er mich mit »Master« ansprach. Und er schien mich eher beeindrucken als verhöhnen zu wollen.
    Während ich ihn anstarrte, trat ein anderer Diener aus einer entfernten Box und schlenderte, als er uns reden sah, auf uns zu. Percy senkte die Stimme und sprach schneller.
    »Du sollst wissen, dass ich immer schon fand, dass dich deine ehemalige Familie ganz schön hart angepackt hat, eigentlich zu hart, ICH hätte jedenfalls nie –«
    »Ch-ch!« Der andere Diener stieß einen Laut aus, der an einen Vogelruf erinnerte. Aber er hatte garantiert eine geheime Bedeutung, denn Percy wandte sich von mir ab. Im Gehen bettelte er: »Vergiss deinen alten Percy nicht – leg ein gutes Wort ein – hätte nichts dagegen, dir wieder Unterricht zu geben!«
    Dann war er weg und innerhalb einer Stunde hatte ich ihn wieder aus meinen Gedanken verdrängt.
    Genau wie ich – das muss ich zu meiner Schande gestehen – meine Familie weitgehend verdrängt hatte. Und zwar nicht zufällig, sondern ganz bewusst, denn wenn ich über sie nachdachte, musste ich zwangsläufig daran denken, dass das Zusammenleben mit den Pembrokes vielleicht nur vorübergehend war, und da es hier so wunderbar und das Leben mit meiner Familie so ätzend gewesen war, wollte ich nie wieder weg.
    Manchmal schlich sich jedoch der Gedanke an Dad ein. Wenn ich daran dachte, dass er immer hart gearbeitet und nie eine Chance gehabt hatte, das Leben so in vollen Zügen zu genießen, wie ich es bei den Pembrokes tat – nicht mal einen Tag lang –, fühlte ich mich immer ein bisschen schuldig.
    In solchen Momenten zwang ich mich, daran zu denken, wie er mich verdroschen hatte, wenn ich faulenzte, und dass er Adonis nicht mal annähernd so oft verhauen hatte, obwohl der doppelt so faul gewesen war wie ich. Oder dass er nie ein Wort gesagt oder einen Finger gerührt hatte, wenn Venus und Adonis über mich hergefallen waren.
    Solche Gedanken erleichterten mir das Vergessen. Und wenn Mr Pembroke mich über den neuesten Stand informierte und vage, aber zuversichtlich versprach, die Suchtrupps würden »jeden Stein umdrehen« beziehungsweise »jeden Flecken auf der Landkarte

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