Die Legenden der Blauen Meere, Band 1: Dreckswetter und Morgenröte (German Edition)
ich bloß zu einer Kugel zusammengerollt auf dem Bett, während in meinem Kopf immer wieder diese schreckliche Vision von dem Ballon ablief, der in ein dunkles Meer stürzte. Sie verursachte mir unbeschreibliche Übelkeit und ich hasste mich selbst dafür, dass ich die letzten drei Wochen wie ein leichtfertiger Prinz gelebt und nicht einmal daran gedacht hatte, wie meine Familie gelitten haben musste. Irgendwie kam es mir vor, als wäre es meine Schuld – hätte ich es mir nicht so gut gehen lassen, wären sie vielleicht nicht tot.
Und zum ersten Mal wünschte ich mir, sie wären noch am Leben, selbst meine niederträchtigen Geschwister. Aber vor allem Dad. Ich hatte nie so recht gewusst, woran ich bei ihm war – er war nicht wie Venus und Adonis absichtlich grausam zu mir, aber ich konnte auch nicht gerade behaupten, dass er mich liebte. Trotzdem hatte er sich gekümmert. Er war mein Vater. Und nun war er tot. Es war niemand mehr da, der sich kümmern konnte.
Ich heulte eine Weile. Doch irgendwann wurde mir bewusst, dass ich in der Patsche saß und sich daran nichts ändern würde, ganz egal wie elend ich mich fühlte – sei es wegen meiner Familie oder mir selbst. Die einzige Person, die mich da herausholen konnte, war ich.
Also zwang ich mich aufzustehen und versuchte, während ich im Zimmer auf und ab ging, mir über die Situation klar zu werden.
Es gab keinen Ausweg. Es gab keine Möglichkeit, die Situation mit Pembroke zu entschärfen, ohne Millicent aufzugeben. Und das konnte ich einfach nicht.
Ich musste also davon ausgehen, dass sie mich aus der Wolkenvilla hinauswarfen, was mir eine Höllenangst einjagte, denn ich hatte keine Ahnung, wohin ich dann gehen sollte. Vielleicht zurück nach Dreckswetter. Allerdings hatte ich kein Geld, um mir ein Boot zu organisieren, und was sollte ich dort überhaupt anfangen? Allein die Plantage führen?
Ich war verrückt. Ich brauchte nicht allein auf der Welt zu sein – Roger Pembroke, der reichste und mächtigste Mann, den ich je getroffen hatte, hatte mir soeben angeboten, mich zu adoptieren. Er würde mehr tun, als sich bloß um mich zu kümmern – er würde mich reich machen! Und ich hatte ihn abblitzen lassen? Albern!
Ich beschloss, das Angebot auf der Stelle zu akzeptieren. Es war das einzig Vernünftige.
Bloß brachte ich es nicht über mich. Jedes Mal, wenn ich in Erwägung zog, diese Adoptionsurkunde zu unterzeichnen, kam mir wieder Millicent in den Kopf. Der Gedanke, mit ihr zusammenzuleben, jeden Tag mit ihr zu verbringen … sie meine Schwester und ich ihr Bruder … das war unerträglich.
Es war hoffnungslos, und so wandte ich mich wieder meinen Fantasien zu, Piraten niederzumetzeln. Die einzige Möglichkeit, alles zu einem glücklichen Ende zu bringen, schien, Millicent vor einer Bande blutrünstiger Mörder zu retten. Als es Abend wurde und ich von unten entfernte Rufe hörte, gab ich mich der Hoffnung hin, dass meine Träume in Erfüllung gegangen waren. Doch die Rufe steigerten sich nie zu Schreien und irgendwann war überhaupt nichts mehr zu hören.
Wenig später erschien ein Butler, um mich zum Essen abzuholen. Als ich ins Speisezimmer trat, war Pembroke verschwunden, Millicents Augen waren rot verweint und Mrs Pembroke sah keinen von uns an.
Wir aßen schweigend, unterbrochen nur vom Klirren des Silbers und vom gelegentlichen Schniefen Millicents. Die Stimmung war so gedrückt, dass ich nicht mal Appetit auf Marmeladenkuchen hatte. Was immer hier gerade los war, es war garantiert meine Schuld.
Irgendwann entschuldigte sich Mrs Pembroke und stand auf. Millicent blickte ihr hinterher.
»Miststück«, zischte sie, als ihre Mutter durch die Tür war.
»Was ist denn passiert?«, flüsterte ich.
»Sie hatten einen Riesenkrach – ganz sicher hat wie immer sie angefangen –, anschließend ging Dad zu einer Besprechung und er hat mich nicht nur nicht mitgenommen, sie hat ihm auch noch verboten, mir zu sagen, worum es dort gehen würde! Es ist ALLES ihre Schuld.«
»Nein – es ist meine Schuld. Es tut mir leid.« Ich hatte eigentlich vorgehabt, Pembroke zu gehorchen und Millicent nichts zu erzählen, aber ich hielt es nicht aus, zuzusehen, wie sie ihrer Mutter die Schuld gab.
»Sei nicht albern, Egg. Es hat nichts mit dir zu tun.«
»Bist du sicher?«
»Natürlich. Warum sollte es?«
»Dein Vater … ist heute wütend auf mich gewesen.«
»Pffft.« Millicent tat den Gedanken mit einer Handbewegung ab. »Daddy wird wütend.
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