Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
bedauerlich. Bedauerlich, aber unvermeidlich. Kommt, Gresse, wir müssen noch einige Orte besuchen, und ich will möglichst schnell den Geschmack dieser Begegnung mit einem guten Ale hinunterspülen.«
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Ilkars rasche Zusammenfassung seiner Gespräche mit Kild’aar und Rebraal hatte Erienne wieder zur Besinnung gebracht. Sie überließ es Hirad, den Julatsaner zusammenzustauchen, weil dieser nie von seinem Bruder erzählt hatte, und eilte mit Denser und Ren zum Haus, das Ilkar ihnen beschrieben hatte. Etwas ängstlich betrachtete Erienne den Panther und seinen außergewöhnlichen Hüter, der schweigend draußen saß. An der Tür wurden sie von Kild’aar aufgehalten. Die Elfenfrau sagte einige Worte, und Ren drehte sich zu ihnen um.
»Sie sagt, ihr seid hier nicht willkommen. Sie sagt, ihr werdet den Leichnam des Al-Arynaar nicht entweihen.«
»Sage ihr, dass ich ihr zustimme. Ich werde seinen Leichnam nicht entweihen. Wenn sie aber will, dass wir helfen, ihr Dorf zu retten, dann sollte sie uns lieber vorbeilassen.«
Es war spät, und Erienne war müde. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer, und das Pochen war eine ständige Ermahnung, etwas Sinnvolles zu tun und einer Verpflichtung nachzukommen, die sie nicht empfand. Ren
redete mit Kild’aar. Es war ein kurzer Wortwechsel. Irgendwann deutete die ältere Elfenfrau nachdrücklich auf den Panther, der sie bisher, genau wie sein Hüter, keines Blickes gewürdigt hatte. Schließlich gab sie die Tür frei. Die Verachtung für die Fremden kam in ihrer Körperhaltung und ihrer Miene deutlich zum Ausdruck.
»Sie sagt, der Panther wird dir die Augen auskratzen, wenn du etwas Böses mit dem Toten machst.«
Denser sah Ren mit einem Ausdruck an, den Erienne kannte. So sah er aus, wenn der Rabe bedroht war. Äußerste Geringschätzung.
»Er käme nicht einmal auf fünf Schritte an sie heran«, sagte er und stolzierte hinein.
Sie gingen wie angewiesen nach links in ein mit Kerzen beleuchtetes Zimmer, in dem ein erstickender Duft herrschte. Auf dem Einzelbett lag der verhüllte Leichnam von Mercuun. Kild’aar folgte ihnen nach drinnen und baute sich mit verschränkten Armen auf, um schweigend und missbilligend zuzuschauen.
Erienne kniete sich ans Bett, und Denser zog behutsam die Decke vom Toten, bis das Gesicht und der nackte Oberkörper entblößt waren. Im flackernden Licht konnte Erienne ein junges, markantes Gesicht erkennen. Die dunkle Haut schien unversehrt.
Sie legte ihm die Hände auf die Brust und hörte, wie Kild’aar hinter ihr scharf einatmete. Die Haut war kalt, hart und wächsern. Sie ignorierte das unangenehme Gefühl und stimmte sich auf das Mana-Spektrum ein, um vom Kopf bis zu den Zehen langsam eine Mana-Scheibe durch den Körper wandern zu lassen, während ihre Finger aufnahmen, was das Mana berührte und erkundete.
Fast sofort spürte sie eine Woge von Übelkeit, als hätte sie stinkende Luft eingeatmet. Sie hatte Mühe, ihre
Konzentration zu halten, stimmte sich wieder auf ihre Aufgabe ein und versuchte zu analysieren, was der zu ihr zurückfließende Mana-Strom ihr sagte. Das Konzept, das sie anwandte, ähnelte stark dem Körperspruch, doch Mercuun hätte auch mit dem stärksten Spruch, den ein Heiler wirken konnte, nicht gerettet werden können. Mit dem Spruch konnte man Knochen richten, Muskeln und Organe heilen, Blutungen stillen und Prellungen behandeln. Aber Verwesung und Verfall konnte man nicht umkehren.
Sie zog sich aus Mercuuns Leichnam zurück und nickte Denser zu, den Toten wieder zu bedecken. Sie blieb noch einen Moment auf den Knien hocken und rieb langsam über ihre Oberschenkel. Dabei atmete sie tief durch, um ihren Kopf von den üblen Empfindungen zu reinigen, die sie gehabt hatte, und wieder ins normale Bewusstsein zurückzukehren.
»Alles klar, Liebste?«, fragte Denser. Er hockte sich neben sie und streichelte ihre Wange.
»Ja«, sagte sie und drehte sich zu Ren um. »Ich muss einige Dinge wissen. Frage sie, wie lange er schon tot ist.«
Ren nickte und übersetzte die Frage.
»Zwei Tage«, lautete die Antwort. »Sie warten auf Rebraal, bevor sie den Toten dem Wald übergeben.«
Erienne schauderte. »So kurze Zeit erst?« Sie wechselte einen besorgten Blick mit Denser. »Frage sie, ob seine Knochenbrüche versorgt wurden.«
»Sie wurden versorgt«, kam etwas verzögert die Antwort. »Sie konnten behandelt werden und sprachen auf die Behandlung an. Dennoch ist er gestorben.«
»Der Grund ist,
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