Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
zuversichtlich, dass es sich nicht weiter ausbreiten wird, und die Schiffsladung Orangen wurde gestern in der Bucht entladen.
Wir haben noch einmal zweihundert Flüchtlinge aufgenommen, alles Familien mit Kindern, und jetzt ist die Stadt vorerst geschlossen. Draußen auf den Feldern ist die Aussaat fast beendet, in etwa zehn Tagen sollten die ersten Feldfrüchte des Frühlings erntereif sein, was die Lebensmittelvorräte ergänzen wird. Auf Euren Befehl patrouillieren berittene Milizen in den reifenden Feldern, aber nach dem ersten Diebstahl hatten wir keine Schwierigkeiten mehr, und die Bereiche, wo sich Flüchtlinge aufhalten, werden genau bewacht.
Mit dem Vieh sieht es nicht so gut aus, aber es ist noch erträglich. Die Kuhherden sind in Ordnung, aber wie Ihr wisst, haben wir seit zwei Jahreszeiten kaum noch Nachwuchs. Wir haben um siebzig Prozent weniger Kälber, Ferkel und Lämmer. Ihr werdet Euch erinnern, dass ich im letzten Bericht empfohlen habe, jeglichen Überschuss möglichst schnell zu verkaufen und mit dem Geld möglichst viele Zuchttiere einzukaufen, damit wir unsere Herden umgehend wieder aufstocken können. Wenn wir es richtig anfangen, werden wir auf diesem Gebiet in einiger Zeit eine starke Marktposition haben.«
»Und inzwischen müssen wir Brot und Gemüsesuppe essen, was?« Blackthorne schnitt eine Grimasse.
»Nicht unbedingt, mein Lord. Wir hatten in der letzten Zeit gewisse Erfolge mit den Kaninchen«, sagte Luke lächelnd.
»Ach ja«, sagte Blackthorne. »Die Kaninchen.«
Im ersten Augenblick hatte es ausgesehen wie eine hervorragende Idee. Man musste nur einige Kaninchen
fangen und züchten. So konnte man schnell und leicht an Fleisch kommen, hatte man gedacht. Es machte nicht viel Mühe, und die Kinder in der Stadt hatten gern geholfen. Doch die Kaninchen waren anfällig für Krankheiten, und sie gruben sich ein, zwangen die Helfer so, die Zäune immer tiefer zu setzen. Blackthorne war kurz davor gewesen, die Sache abzublasen.
»Was hat sich denn geändert?«
»Die Magier haben die am stärksten verbreitete Krankheit isoliert und eine Behandlungsmethode für das Trinkwasser entwickelt, damit die Tiere gesund bleiben. Sie haben auch einen Grenzspruch um den Zaun gelegt, der zwanzig Fuß tief reicht. Anscheinend ist es ein Spruch, der sie nicht sehr anstrengt und ansonsten harmlos ist. Nur die Kaninchen können sich nicht mehr durchgraben.«
»Sehr gut, ausgezeichnet.« Blackthorne lächelte. Wo wären sie ohne die Magier?
»Die Zahlen stehen im Bericht. Soll ich warten, während Ihr lest?«
»Nein, nein. Vielen Dank, Luke, das ist ausgezeichnet. Ich wende mich an dich, wenn ich noch weitere Fragen habe.« Luke wollte aufstehen. »Lass dir ruhig Zeit und trinke deinen Wein aus.«
»Danke, mein Lord.«
»Und du sollst über etwas nachdenken, über das auch ich nachdenke. Die Kollegien führen jetzt Krieg. Wird sich der Konflikt bis hierher ausbreiten? Und wenn ja, wie viele Flüchtlinge werden dann noch hierher getrieben? Wenn du eine Vorstellung davon hast, sollst du mir sagen, wie wir unsere Verteidigung einrichten und unsere Lager schützen sollten.«
»An diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht«,
gab Luke zu. »Es kommt mir so vor, als wäre die Gefahr noch sehr weit weg.«
»Es ist meine Aufgabe, möglichst weit voraus zu denken, und deine Aufgabe ist es, mir zu sagen, wie wir die Schwierigkeiten bewältigen können. Lass dir Zeit.«
Luke starrte in sein Weinglas.
Trotz des schönen Morgens ging Denser mit gesenktem Kopf. Die Zeit wurde knapp. Der Unbekannte hatte ihn darum gebeten, er solle versuchen, Erienne zu bewegen, trotz ihres Kummers vernünftig zu reagieren. Es gab kaum einen Augenblick, in dem er nicht von schmerzlichen Erinnerungen an ihre Tochter heimgesucht wurde, doch er hatte beschlossen, sich nicht mit den Schuldgefühlen zu quälen, die für Erienne zur zweiten Natur geworden waren. Er hatte nicht versucht, ihr die Trauer zu nehmen. Sie sollte nur verstehen, dass es nicht in ihrer Macht gestanden hatte, Lyannas Tod zu verhindern.
Heute war es allerdings anders als bisher. Heute musste er sie überzeugen, Herendeneth zu verlassen.
Er wusste, wo er sie finden konnte. Dort, wo sie den größten Teil ihrer Zeit verbrachte. Entweder pflegte sie das Grab, oder sie saß davor, manchmal sang sie ein Lied für Lyanna, manchmal lag sie weinend im Gras. Manchmal versank sie in einem gnädigen Schlummer.
An diesem Morgen wässerte Erienne die
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