Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege
vergewissern, dass unser Lager rundherum gut gesichert ist. So viele wie möglich werden heute Nacht dort drinnen schlafen.« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter zum Tempel. »Dort wird uns nichts passieren.«
Ben-Foran spähte an ihm vorbei. »Sind sie dort drinnen bald fertig?«
Yron sah sich zu seinen beiden verbliebenen Magiern um, die nach Schutzsprüchen und Fallen suchten. Sie waren schon seit Stunden im Tempel; nachdem der Regen aufgehört hatte, brannte die Sonne erbarmungslos vom Himmel.
»Bei den Göttern, ich will es hoffen, mein Junge.« Er klopfte dem Burschen auf die Schulter und drehte ihn herum. »Kommt, lasst uns die Lebenden versorgen und die Toten ehren, oder jedenfalls das, was von ihnen noch übrig ist.«
Ein Insekt stach ihn in den Arm. Er schlug nach
dem Tier, es war das dritte binnen weniger Minuten. Die Götter mochten wissen, wie viele er gar nicht bemerkt hatte. Er sah Ben-Forans Gesichtsausdruck, und beide Männer kratzten sich instinktiv am Arm. Er wusste, was der Bursche dachte. Schnittwunden, Blasen und Insektenstiche waren in Balaia harmlos, aber hier sah es anders aus. Und sie hatten nur zwei Magier, um fast fünfzig Männer gesund zu halten. Sie mussten sehr vorsichtig sein.
Mitten auf dem Vorplatz brannte schon der Scheiterhaufen, als Yron endlich die Gelegenheit bekam, einen Blick in den Tempel zu werfen, der so viele seiner Männer das Leben gekostet hatte. Alle bis auf die beiden Magier und Ben-Foran warteten draußen auf das Signal, das ihnen etwas Erleichterung vor der drückenden Hitze und Feuchtigkeit des frühen Nachmittags verschaffen würde.
Drinnen war es kühl, sogar fast kalt im Vergleich. Die Steine waren dick und leiteten die Wärme nicht nach innen. Das kühle Wasser, das zweifellos aus einer unterirdischen Quelle ins Becken strömte, verlieh dem Tempel eine erfrischende Atmosphäre. Es war, wie Yron mit einem Blick zu der wundervollen, detailreichen Statue zugeben musste, ein sehr angenehmer Ort. Im Augenblick nahezu perfekt.
»Das Licht ist schön«, bemerkte Ben-Foran.
Yron drehte sich um. Ben deutete auf die bunten Lichtbalken, die durch die gläsernen Bausteine und die Fenster über den Tempelwänden und in der Kuppel hereinfielen. Die Wirkung litt sicherlich darunter, dass die Türen zerstört worden waren, doch er konnte sehen, was der Junge meinte.
»Es dient nicht ausschließlich der Verschönerung«,
sagte Erys, ein kluger junger Magier-Archivar mit sehr hellem rotem Haar, das er ruhig etwas kürzer hätte tragen können. Wäre er ein Soldat gewesen, dann hätte Yron ihm einen entsprechenden Befehl erteilt.
»Meint Ihr damit, das Licht sei für Zeremonien benutzt worden?«, fragte Yron.
»Mehr als das. Die Lichtstrahlen öffnen und schließen Türen im hinteren Teil des Tempels.«
Yron zog die Augenbrauen hoch. »Wirklich? Das müsst Ihr mir zeigen.«
Erys führte den Hauptmann um die Statue herum in einen kurzen Flur. Abgesehen von dem Licht, das durch zwei offene Türen hereinfiel, war es dunkel.
»Diese beiden Türen haben sich geöffnet, während wir hier waren, und eine dritte hat sich geschlossen«, erklärte Erys. »Wir haben es zunächst für eine Falle gehalten, doch Stenys ist überzeugt, dass es am Licht liegt, das über bestimmte Bereiche der Statue streicht. Wir beobachten weiter.«
Yron sah sich in einem Raum um. Es war eine Art Schrein. In einem Alkoven saß eine geschnitzte Figur, die von Weihrauchstäbchen umgeben war. Einige Pergamente lagen auf einem niedrigen Tisch, an der Rückwand lehnte ein einziges Kissen.
»Gibt es hier etwas Interessantes?«
Erys schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, aber wir werden ohnehin alles mitnehmen. Nebenan sind einige Papiere, die interessanter sein könnten, doch den Hauptgewinn haben wir bisher noch nicht gezogen.«
Yron starrte ihn verständnislos an.
»Es dürfte mindestens ein Dutzend solcher Räume geben«, erklärte der Magier. »Und wir wissen nicht, wann sie sich öffnen.«
Yron schnaubte. »Dann reißen wir die Wände ein. Ich werde mich hier keinen Tag länger aufhalten als unbedingt nötig. Ihr habt gesehen, was das Fieber anrichtet.«
»Ich weiß.« Erys nickte. »Wir tun, was wir können. Es gibt aber etwas, das Ihr noch nicht wisst. Kommt mit und seht es Euch an.«
Er führte Yron durch den Tempel zum Ausgang. Ben-Foran war draußen unterwegs, um irgendetwas zu organisieren.
»Hier«, sagte Erys. Er deutete auf den Türsturz aus Stein und die Säulen,
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