Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege

Titel: Die Legenden des Raben 01 - Schicksalswege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
Vom Netzwerk:
Nervosität, als sie zum Liegeplatz mitten im Hafen fuhren. Densers Gefühle waren ganz ähnlich, wenngleich aus ganz anderen Gründen. Es war keine angenehme Reise gewesen. Erienne hatte die ganze Zeit über kaum ihre Koje verlassen, denn die wachsende Entfernung zu Lyannas Grab hatte ihr ein weiteres Mal das Herz gebrochen. Und wenn sie sich dann doch einmal auf Deck hatte blicken lassen, war ihre Körpersprache eine deutliche Warnung an alle gewesen, ihr nicht nahe zu kommen.
    Denser verstand ihre Gefühle, war aber frustriert, weil sie sich nicht helfen ließ. Sie hatte sich völlig abgekapselt,
aß kaum und sprach noch weniger. Ilkar hatte am Vortag seine Sorgen zum Ausdruck gebracht. In Calaius herrschte ein ganz anderes Klima als in Balaia. Auch der kräftigste Körper war dort rasch erschöpft und ermüdete schnell, und besonders diejenigen, die nicht dort geboren waren, konnten sich leicht Krankheiten zuziehen. Erienne, so sagte er, setzte ernsthaft ihre Gesundheit aufs Spiel, wenn sie sich noch länger weigerte, ihre Kräfte wieder aufzubauen. Und wenn ihre Fähigkeit, Sprüche zu wirken, gelitten hatte, dann riskierte sie damit auch die Gesundheit des Raben.
    Wie so oft in den letzten Tagen hatte Denser geseufzt und gehofft, sie werde zu sich kommen, sobald sie gelandet waren. In der strahlenden Sonne, die heiß vom klaren, blauen Himmel brannte, gelang es Denser, einen Augenblick lang alles zu vergessen, während er geradeaus nach vorn schaute und das Land betrachtete. Bei der allerersten Sichtung des Kontinents war der Rabe an Deck gerannt, und Denser war ein wenig enttäuscht gewesen. Er hatte nur Klippen gesehen und sehr ferne Umrisse von Gebäuden.
    Jetzt aber, aus der Nähe, staunte er über die Schönheit der Landschaft. Vor ihnen lag Ysundeneth, die wichtigste Hafenstadt von Calaius. Ilkar hatte ihm erklärt, der Name könne sinngemäß als »Meeresheim« übersetzt werden. Es war eine weitläufige Stadt, deren Hafen sich über vier Meilen an der gewundenen Küste entlang erstreckte, und die Gebäude reichten eine halbe Meile tief ins Land hinein. Sie war fast so groß wie Korina, sah aber völlig anders aus. Wo in Korina niedrige, wuchtige Häuser aus Stein und Ziegeln standen, die den Stürmen an der Flussmündung trotzen konnten, war Ysundeneth ein Durcheinander aus Türmen und hohen Gebäuden, die schlank und elegant
waren und doch stabil wirkten. Und alle Gebäude bestanden ausschließlich aus Holz.
    Denser staunte über die Holzbauten, doch Ilkar hatte nur gelacht und hinter die Stadt gedeutet. Der Hafen war von allen Seiten und so weit das Auge reichte von undurchdringlichem Grün umgeben. Überall standen Bäume, höchstens einmal unterbrochen von steilen Anhöhen und gewaltigen, Schwindel erregenden Klippen und sumpfigem Tiefland.
    Denser hatte, wie es ihm vorkam, eine halbe Ewigkeit gestarrt und erwachte erst wieder aus seiner Versenkung, als Ilkar ihn knuffte. Er drehte sich um und sah den Julatsaner Arm in Arm mit Ren neben sich stehen. Die beiden lächelten ihn an.
    »Na, was sagst du?«, fragte der Elf.
    Denser zuckte mit den Achseln. »Es ist ganz außerordentlich. Ich kann kaum glauben, wie groß dieser Hafen ist. Ich wusste nicht, dass hier so viele Menschen in Städten leben. Aber was denkst du selbst? Du warst ja lange nicht mehr hier.«
    Ilkar nickte, und das Lächeln verschwand. »Es ist schon seltsam, keine Frage. Aber ich habe trotzdem das Gefühl, nach Hause zu kommen. Ich meine, ich erkenne die Stadt kaum wieder, weil sie so stark gewachsen ist, aber ich wurde hier geboren.«
    »Hier in Ysundeneth?«
    »Nicht genau hier. Etwa drei Tagereisen flussaufwärts mit dem Boot, aber ich habe in meiner Jugend viel Zeit hier verbracht, und damals war die Stadt bei weitem nicht so groß.«
    »Wie kann die Stadt überhaupt überleben?« Der Unbekannte war an die Reling getreten und beugte sich vor. Sein rasierter Kopf war dunkelbraun gebrannt.

    »Der Handel mit Balaia ist wichtig«, sagte Ren. »Aber am meisten Geld wird mit dem Handel entlang der Küste verdient. Ein großer Teil des Landesinneren ist recht unzugänglich, deshalb geht es schneller, wenn man außen herumfährt. Dies ist allerdings bei weitem der größte Hafen. Die anderen sind nicht einmal halb so groß.«
    »Hier müssen doch weit über hunderttausend Elfen leben, oder?«, fragte der Unbekannte.
    »Mehr«, antwortete Ren.
    »Es wundert mich, dass auf dem ganzen Kontinent überhaupt so viele leben«, sagte Denser.

Weitere Kostenlose Bücher